durchgeführt von HOME
>>Haus Carstanjen<<
von Wolfgang Henrich

Die blaue UN-Flagge wehte am 20. Juni 1996 das erste Mal in Bonns Plittersdorfer Aue, hier, wo das >>Haus Carstanjen<< inmitten eines herrlichen englischen Gartens steht und die Vereinten Nationen nun auch in Deutschland ihren Sitz genommen haben.

Der neuen Hausherrin, Dr. Brenda Gael McSweeney, Koordinatorin der United Nations Volunteers, bietet sich von ihrem Arbeitszimmer im Südturm des 1895 im gotischen Stil erweiterten Schlosses ein Panorama, das einen, ob man will oder nicht, ins Schwärmen geraten läßt: der Blick schweift von den Wipfeln uralter Bäume über

den Rhein auf das Siebengebirge mit dem legendenumwobenen Drachenfels. Und unversehens hat man sich auf >>the sentimental journey<< gemacht, die England im 18. Jahrhundert samt >>Rheinromantik<< erfand.

Aus dem Drachenfels, der im Kern ein Basaltkegel ist, also aus der erstarrten Lava eines Vulkans besteht, haute man den Stein für den Kölner Dom wie auch schon vor 2000 Jahren für die Straßen, die von Colonia Agrippina nach Rom führten, bis sie von der Völkerwanderung überspült wurden. Die Karolinger erneuerten sie und in ihrem Gefolge kamen die Mönche von Gandersheim. Ihnen schenkte König Arnulf von Kärnten, der zwischen 887 bis 899 im Rheinland regierte, die Ländereien rund um die "Sieben Berge", zu denen auch die Plittersdorfer Aue gehörte mit ihren Weinbergen.

Ein Teil des Weingutes wurde im Jahre 1197 an das Zisterzienser-Kloster Heisterbach verkauft, das seinen Abt Caesarius vermutlich zu dem berühmten >>Dialogus mirabilis<< inspirierte. Als der damals auch "Auerhof" genannte Grund im Jahre 1318 dann ganz in den Besitz der Heisterbacher Mönche überging, erhielt, wie den Urkunden zu entnehmen ist, die Äbtissin Sophia von Gandersheim 50 Pfund der "Dicken Tourons", also der im französischen Tours geschlagenen Schillinge.

Mit dem beschaulichen Klosterleben aber ist es vorbei, als 1789 die Französische Revolution beginnt, die Stunde der Säkularisierung schlägt und das Schlagen bis heute nicht aufhören will: Napoleon läßt die Kirchengüter einziehen und so auch die Plittersdorfer Aue, die im Jahre 1803 - lt. Revolutionskalender am 1. Vendemiaire XI - der sogenannten Senatorie von Poppelsdorf in Bonn zugeschlagen wird, deren erster Inhaber sein Bruder Joseph ist. 1816, als Preußen auf dem Wiener Kongreß die Rheinlande zugesprochen bekommt, wird der Bankier Johann Abraham Anton Schaaffhausen Eigentümer. Das aber ist just der Mann, der dem "1. Konsul der Französischen Republik", dem noch nicht gekrönten Napoleon, einen Korb gibt, als der ihn 1800 zum Bürgermeister von Köln bestimmen will. Als Napoleon Köln 1804, nun schon Kaiser, als eine der >>bonnes villes<< Deutschlands aufsucht, versäumt er es nicht, diesen Mann in Augenschein zu nehmen, worauf sich zwischen beiden folgender Dialog entwickelt haben soll: "Gibt es hier Millionäre?" - "Ja, Sire, aber seit 1797 ist keiner mehr dazugekommen." - - - "Sieh’ an - ein stolzer Deutscher!"

Dessen ganzer Stolz aber ist seine Tochter Sibylle, über deren Geburt die Mutter gestorben war. Dieses sein erstes Kind ist als die "Rheingräfin" in die Chroniken eingegangen, deren Geburtstag sich übrigens am 3. Februar 1997 zum 200. Male jährt. Dem Historienmaler Wilhelm Wach, Freund des Bildhauers Christian Daniel Rauch, der in Berlin das Denkmal von Friedrich II. schuf, verdankt sie diesen Namen. Und der steht zweifellos für ihre beispielhafte Noblesse und Bildung wie auch für ihr soziales Engagement, das sie etwa bei der Cholera zu Genua im Jahre 1835 beweist, wofür ihr der König Carlo Alberto zum Dank eine Münze prägen läßt, die ihr namentlich gewidmet ist.

Sibylle Mertens-Schaaffhausen, wie sie sich seit ihrer Heirat mit Louis Mertens nennt, dem Nachfolger in der Bank des Vaters, führt ein großes Haus, in dem alles, was Rang und Namen hat, sich ein Stelldichein gibt. In ihrem >>bijou und Herzblatt<<, wie sie das Anwesen zärtlich nennt, empfängt sie vor allem ihre Busenfreundin, die westfälische Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, bekannt durch ihre Novelle "Die Judenbuche". Diese tiefgründige, ja unheimliche Geschichte läßt etwas von ihrer Anlage zum "zweiten Gesicht" spürbar werden - eine Begabung, die sie übrigens mit der "Rheingräfin" teilt, die ebenfalls Zukünftiges ahnen kann.

Heinrich Heine, zu ihrer Zeit Student, hat sich später in seinen "Memoiren" über Sibylle lustig gemacht, wo er auf ihre Vorliebe für den Karneval und die rheinische Mundart anspielt: "Köln ist das Toscana einer klassisch schlechten Aussprache des Deutschen, und Köbes - d.i. Jakob - klüngelt mit Marizzebill - d.i. Maria-Sibylle - in einer Mundart, die wie faule Eier klingt, fast riecht." Vermutlich hatte es sich von Weimar bis nach Plittersdorf herumgesprochen, nämlich über Sibylle’s Freundin Ottilie von Goethe, daß der kesse Studiosus mit grünem Ranzen ihren Schwiegervater Johann Wolfgang genarrt hatte, was ihm dann das Haus von Marizibill verschloß, wie sie sich in der Fastnachzeitung von 1823 genannt hatte. Arthur Schopenhauer, "dieser Weltverneiner aus Gründen der Lebensbejahung" (Egon Friedell charakterisiert ihn so in seiner "Kulturgeschichte der Neuzeit") prozessierte sogar mit ihr - um eine Schenkung, die Sibylle seiner Schwester Adele gemacht hatte. Adele Schopenhauer, Schriftstellerin wie ihre Mutter Johanna Schopenhauer, waren mit Annette von Droste-Hülshoff ständige Gäste im Auerhof oder aber im Zehnthof in Unkel auf der anderen Rheinseite, der den Mertens ebenfalls gehörte.

Zu ihnen stießen schließlich als Gesinnungsgenossinnen die Engländerin Anna Jameson und Henriette Paalzow, Schwester von Wilhelm Wach, womit der Kreis geistig geschlossen wäre und auch die Ära, die Metternichs Namen trägt: als Adele Schopenhauer 1849 stirbt und Sibylle ihr Erbe an ihre Halbgeschwister verliert, hält sie nichts mehr und sie zieht nach Rom, wo sie am 22. Oktober 1857 auch gestorben und begraben ist - ihre Grabstätte befindet sich auf dem sog. Kirchhof der Deutschen.

Deutschland rüstet sich nun unter Preußen zur Einheit, die Familie Suermondt aus Aachen übernimmt den Hof, um ihn später an den Geschäftsmann Andreas Solf zu verkaufen, bis er 1882 in den Besitz von Adolf von Carstanjen übergeht, dessen Namen seitdem das Anwesen trägt, das nun aber Stück für Stück die Funktion des landwirtschaftlichen Betriebes verliert.

Unter Carstanjen dient es schließlich rein der Repräsentanz: der Vorliebe des Hauses Hohenzollern entsprechend verwandelt sich die Anlage 1892 durch die Architekten Hartel und Neckelmann und dann ab 1895 durch Josef Kleefisch in besagtes gotisches Schloß. Robert, der Sohn, kann mit seiner Frau den Prachtbau noch halten, aber nach dessen Tod sieht sich die Witwe 1941 gezwungen, wie alle Gutsherrlichkeit der Bürokratie zu weichen. Das "Dritte Reich" zieht ein mit einer Heeres-Lehrer-Akademie - zum "Endsieg" bzw. bis zur "Stunde Null".

Bild des Hauses Carstanjen im Jahre 1935 (21k)

Unter dem Oberbefehl von Dwight D. Eisenhower, der 8 Jahre später der 34. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sein wird, beschlagnahmen die alliierten Streitkräfte nach der Einnahme Bonns das ehemalige Gut, um von hier aus den Wiederaufbau Deutschlands zu betreiben - intellektuell wie materiell. Während die Hohen Kommissare auf dem gegenüberliegenden Petersberg residieren, der einstmals ebenfalls Besitz der "Rheingräfin" war, in dem von der Familie Mühlens errichteten Hotel, in das sie ihre Gewinne aus der Kölnisch-Wasser-Marke 4711 investierten, bezieht John McCloy das "Haus Carstanjen". Von hier aus führt er den Marshall-Plan durch wie den Aufbau der US-Botschaft in der nahegelegenen Mehlemer Deichmannsaue samt dem United States Information Service, der die Amerika-Häuser betreut mit dem >>re-education programme<<. Daß die westdeutsche >>jeunesse dorée<< als sog. 68er Bewegung dem ein jähes Ende setzte, indem ihr nichts Besseres einfiel, als ihre häßliche Seite auf den "Ugly American" zu projizieren, muß hier endlich eingestanden werden - oder läßt sich etwa ohne zu reflektieren Thomas Woodrow Wilson’s Völkerbund resp. die United Nations verstehen?

Aber greifen wir nicht voraus: nach dem Auslaufen des Marshall-Plans bezog am 20. November 1957 das damalige Bundesschatzministerium die freiwerdende Anlage, die zehn Jahre später durch einen Neubau erheblich erweitert wurde. Der Architekt des Kanzlerbungalows, Professor Sepp Ruf, ließ die verbliebenen Ställe und Scheunen samt dem Gewächshaus Ende 1967/Anfang 1968 abreißen, wo Sibylle Mertens-Schaaffhausen seltene Pflanzen gezogen hatte und wohl auch den indischen Trompetenbaum, den ihre Freundin Annette von Droste-Hülshoff im Park aussetzte, wo er Wurzeln schlug und noch heute alljährlich erblüht. Damit war Platz für einen dreiteiligen Verwaltungsbau einschließlich Kantine, der die gesamte, bis dahin über ganz Bonn verteilte Belegschaft des Ministeriums aufnehmen konnte.

Und wieder vergingen zehn Jahre und in der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika zog Vernon Walters ein, der sich 1944 mit Eisenhower in der Bucht von Salerno "den Stiefel hochgekämpft hatte bis nach Berlin", wie DIE WELT seinerzeit zu seiner Begrüßung schrieb.

Und was tat Walters? Letztlich tat er nichts anderes, als dem offiziellen Bonn immer wieder die Frage zu stellen, wie man über die Wiedervereinigung denke. Und um nur ja nicht mißverstanden zu werden, bestieg er auf dem Mehlemer Bahnhof jeweils den eigens für ihn reservierten Triebwagen, um auch die Länderchefs, die Ministerpräsidenten der damals nur 12 Bundesländer zählenden Bundesrepublik Deutschland, aufzusuchen und ihnen eben diese eine Frage zu stellen.

Doch alle seine Gesprächspartner lächelten begriffstutzig - bis auf Dr. Helmut Kohl, MdB, den Bundeskanzler. Er verstand. Und deshalb kann am 1. Juli, aus Genf kommend, Dr. Brenda Gael McSweeney in ihrem Arbeitszimmer im >>Haus Carstanjen<< auf dem Sessel platznehmen, auf dem schon der unvergessene John McCloy saß, wo er auf die vielen Bittsteller wartete, um ihnen zu helfen.

Zurück zur deutschen Startseite