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Die HiTech-Fußball-Show

von Frank Fremerey

Fußball im Fernsehen: da geht es schon lange nicht mehr bloß um die Übertragung des Spiels. Spätestens seit dem Markteintritt der privaten Sender in die deutsche Fernsehlandschaft wird Fußball als Ereignis inszeniert. Für die Fußballweltmeisterschaft, die diese Woche in Frankreich startet, greifen die Intendanten der ARD nun ganz tief in die Trickkiste und senden die Schlüsselszenen ins Internet: natürlich in 3D.

Den 3D-Animations-Sequenzen, die wir ehedem im Fernsehen vorgeführt bekamen, war das nächtelange Rendern in Spezial-Firmen anzusehen. Die neue Technologie der israelischen Firma Orad Hi-Tec Systems Ltd. liefert Virtual Reality vom Feinsten. Innerhalb einer Viertelstunde kann sie das Gewünschte zur Verfügung zu stellen. Als Quellmedium genügt dafür das analoge Master-Signal des Senders. Ein erster Härtetest des Systems wird die ARD-Berichterstattung zur Fußball-WM in Frankreich sein. Sahnehäubchen der Präsentation: das Ganze funktioniert auch als VRML-Anwendung (Virtual Reality Markup Language) im Internet. Wir sprachen mit dem redaktionell Verantwortlichen in der Sportschau-Redaktion und beleuchten die technischen Hintergründe.

Die Anforderungen von VirtuaLive Soccer an die Hardware- und Software-Ausstattung des Internet-Besuchers sind hoch (siehe "Performance-Fragen" ). Ist diese Hürde aber genommen, sieht man Erstaunliches: mit Hilfe eines Bedienfeldes im besten Kai-Krause-Stil bestimmt man selbst den Blickwinkel: ob aus Vogel- oder Frosch-Perspektive, ob hinter dem Torwart oder von der Eckfahne aus, alles läßt sich heranzoomen. Der Nutzer kann sich im virtuellen Raum bewegen und den Spielern über die Schultern oder auf die Beine sehen.

Um das möglich zu machen, muß das Fernsehbild in die dritte Dimension erweitert werden. Das Orad-System zur Erstellung dieser 3D-Animation läuft bisher halbautomatisch: ein Techniker der Firma respektive ein von Orad geschulter Mitarbeiter des Kunden braucht etwa 10 bis 15 Minuten, um eine Szene aufzubereiten. Den Zeitaufwand des Technikers, um einen Tag der Fußballweltmeisterschaft mit 4 bis 5 Clips pro Spiel in die 3D-Technik zu übertragen, beziffert Orad auf etwa 2 Stunden.

Spielarten

Orad verwendet dazu eine selbstentwickelte Technik namens CPEU (Camera Position Extraction Unit), die auf den Erkenntnissen aus der Steuerung von Marschflugkörpern beruht und ganz ähnlich funktioniert: das System erhält zunächst "offline" eine Landkarte der Umgebung, in der es arbeiten wird. Weil die Auflösung der Kamera nicht beliebig groß ist und das System auch unter ungünstigen Umständen funktionieren muß, verwendet man eine 3D-Strichzeichnung, die nur die markantesten Landschaftsmerkmale enthält. Diese "Karte" wird dann mit dem "online"-Bild, also dem Kamera-Output, verglichen: zum Vergleich setzt man eine Kombination aus hochspezialisierter Hardware und Software ein. Die "Landschaft" ist in unserem Fall natürlich nicht feindliches Territorium, das von dem Marschflugkörper überflogen wird, sondern ein friedliches Fußballstadion. Die Maße der Feldlinien und Torpfosten entsprechen in der 3D-Karte exakt dem Original. Ob militärisch oder sportlich angewandt, die Aufgabe des Systems bleibt ähnlich: Kamera und beobachtete Objekte bewegen sich reletiv zueinander und dabei gilt es, die Orientierung zu behalten. Im Militär, um die Rakete nicht zu verlieren, in unserem Fall, um die Positionen der Spieler, die Geschwindigkeit und Lage des Balls mit hinreichender Genauigkeit feststellen zu können.

Orad stellt den Sportberichterstattern drei Systeme zur Verfügung: Virtual Replay, Digital Replay und VirtuaLive Soccer. Digital Replay erlaubt, in einem Video von Sende-Qualität direkt die genannten Messungen auf Zentimeter genau durchzuführen und die Meßergebnisse ins Fernsehbild einzublenden. VirtuaLive benutzt genau den gleichen "video tracking engine" wie Digital Replay, um die VRML-Szenen für das Internet zu errechnen.

Zunächst gilt es, die gewünschte Szene aus dem Video auszuwählen und zu digitalisieren. Dann werden die Positionen der Spieler und die Kamera-Parameter für jedes Einzelbild errechnet. Aus den Kamera-Parametern und den Positionen der Spieler im Video ergibt sich die Position der Spieler auf dem Spielfeld. Mit diesem Wissen läßt sich leicht eine 3D-Animation erstellen. VirtuaLive setzt diese 3D-Animation zusätzlich in eine Web-Seite um, die aus Java- und VRML-Code besteht.

Für Virtual Replay andererseits werden aus dem Video 3D-Standbilder errechnet, durch die die Sportreporter mit einer virtuellen Kamera fliegen können. Das Publikum am Fernseher kann so erstmals die entscheidenden Spiel-Situationen aus Perspektiven sehen, die per Video-Kamera unmöglich wären. Im Analyse-Clip sehen wir die Torszene aus der Perspektive des Schützen oder der des Schiedsrichters.

Um die Standbilder so wirklichkeitsnah wie möglich zu errechnen, muß der Techniker dem Computer auf die Sprünge helfen, indem er die Signallinien nachzeichnet und dem Computer sagt, welche Linie welche ist, denn die Lage der Linien ist aus dem normalen Fernsehbild nicht immer exakt zu erkennen.

Die nächste Aufgabe des Technikers ist es, dem System die Positionen der Spieler anzugeben. Das verwundert zunächst, denn der Computer sollte doch in der Lage sein, die Positionen der Spieler selbst herauszufinden. In der Tat weiß der Computer auch, wo die Spieler stehen, er kann sie aber nicht identifizieren. (Auch uns Fernsehzuschauern ist es nicht immer gegeben, die Fußballer auseinanderzuhalten.) Ein Ziel der 3D-Animation ist es, die Figuren individuell zu gestalten, so daß das virtuelle Abbild dem realen Spieler bis aufs Haar gleicht.

Aufgrund der begrenzten Bandbreite heutiger Modem-Verbindungen und insbesondere der mangelnden VRML-Fähigkeiten eines aktuellen Durchschnitts-PCs arbeitet die derzeitige Internet-Version von VirtuaLive mit ziemlich pixeligen Digital-Männchen, deren Bewegungen noch ungelenk und schematisiert sind. Aber die VRML-Umsetzung wird weiterentwickelt und soll in Zukunft Sende-Qualität erreichen. Dann, so hofft Yaron Lavie von Orad, wird die Leistung der heutigen High-End-Maschinen bereits standardmäßig in jedem Haushalt vorhanden sein.


Webseiten zum Thema:
www.orad.co.il (Orad Hi-Tec Systems)
www.VirtuaLive.com (Demo-Version VirtuaLive Soccer)
www.sportschau.de (Weltmeisterschaft)
www.cosmosoftware.com (Cosmo Player 2.0)


Interview mit Olaf Montag

Olaf Montag, in der Sportschau-Redaktion verantwortlich für die Berichterstattung der ARD über die Fußball-WM im Internet, hat das Orad-System ausgiebig getestet und versichert, daß die Positionen der Spieler und des Balls exakt mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Fruchtlose Diskussionen um heikle Abseitssituationen und Fast-Tore lassen sich am heimischen Zweitmonitor nun ganz schnell abstellen.

Olaf Montag: Bei einer Vorführung des neuen Orad-Systems für das Fernsehen (Virtual Replay) entwickelte sich der Plan, das auch im Internet zu machen. Wir haben ja schon seit einiger Zeit die Berichterstattung zum 'Tor des Monats' mit RealAudio und RealVideo im Web und kamen aus verschiedenen Gründen auf die Idee, das für den Internet-User in 3D interaktiv zu gestalten. Wir wollen unseren Nutzern nicht mehr vorschreiben, aus welcher Kamera-Perspektive sie wichtige Spielszenen zu betrachten haben. Wir bieten eine gewisse Auswahl und der User kann sagen: ich will das Ganze jetzt aus der Sicht des Linienrichters, des Torwarts oder auch des Balls sehen und mache mir mein Programm zuhause selber.

Frank Fremerey: Aber das klassische Fernsehangebot ist doch so schlecht nicht, warum nehmen Sie nicht einfach die Videos aus Frankreich und stellen diese, vielleicht auch aus verschiedenen Kamera-Blickwinkeln, zur Verfügung?

Olaf Montag: Bewegtbild ist heute eines der schwierigsten rechtlichen Themen im Internet überhaupt. Dabei muß ich noch nicht einmal auf die Spezialitäten der deutschen Gesetzgebung eingehen: selbst wir als ARD, die wir die Fernsehrechte an der Fußballweltmeisterschaft erworben haben, dürfen im Internet keine Bewegtbilder von der WM ausstrahlen. Darauf haben sich bereits 1987, als noch niemand vom Internet gesprochen hat, die EBU (European Broadcasters Union - Vereinigung der öffentlich-rechtlichen Sender in Europa) und die FIFA geeinigt (Fédération Internationale de Football Association - Internationaler Fußballverband). Damals dachte man allerdings noch an vollformatige Bewegtbilder und lebte in der Vorstellung, daß durch diese Art der Berichterstattung Fernsehzuschauer verlorengehen würden. Das ist natürlich heute nicht der Fall, sondern es geht darum, Schlüsselszenen für die Zuschauer nachvollziehbar zu machen, und wir hoffen bis zum Beginn der Meisterschaft, die FIFA noch von unserem Standpunkt überzeugen zu können. VirtuaLive Soccer ist insofern ein Ausweich-Medium, wir sehen es aber zugleich als eine ganz neue Qualität der Berichterstattung an.

Frank Fremerey: Man erwartet von einem Medien-Riesen wie dem WDR nicht, daß er mit seiner Fußball-Berichterstattung Medien wie www.express.de oder anderen Leuten mit ausführlichem Sportteil im Internet Konkurrenz machen will. Bei der ARD, die über etliche Fernseh- und Radio-Stationen verfügt, erwartet man wohl eher Multimedia in Reinform. Was bedeutet für Sie Multimedia?

Olaf Montag: Multimedia ist für uns Fernsehen plus Hörfunk plus Internet. Das ist nicht der klassische Multimedia-Begriff, aber so möchte ich ihn hier wiedergeben und damit werden wir uns auch von anderen unterscheiden. Wir haben die Videos und wir haben jetzt schon Videos auf den Seiten. Zu allen Mannschaften haben wir Porträts. Sie können sich fast alle Spiele live anhören, Sie können sich alle Summaries anhören. Das ist unser Multimedia-Angebot. Zusätzlich reizen wir natürlich alle Möglichkeiten des klassischen Internet aus, ohne daß wir dabei zu technikverliebt werden: wir haben Fotos, Hörfunkinterviews, Fernsehinterviews. Wir bieten eine “Hall of Fame” mit Audios und Videos. Dort können Sie sich in 3-Minuten-Häppchen Radio-Beiträge zu jeder Weltmeisterschaft von 1930 bis heute anhören. In der “Hall of Fame” finden Sie auch die berühmten Fußball-Persönlichkeiten aus aller Welt.

Frank Fremerey: Sie als Fußball-Experte können mir als Laien auf diesem Gebiet gewiß sagen, ob das, was wir mit VirtuaLive Soccer auf dem Internet sehen, also digitale Strichmännchen, die Szenen aus echten Spielen nachspielen, auch wirklich authentisch ist?

Olaf Montag: Ich habe nicht das Gefühl, daß das in der momentanen Version besonders authentisch ist, und ich gehe auch davon aus, daß das bis zur endgültigen Version noch wesentlich verbessert wird. Mir fehlt die Bewegung im Spiel, mir fehlt der fliegende Ball dabei, ich erlebe also nicht die Dynamik und Realitätsnähe, wie man sie beispielsweise aus den CD-ROM-Spielen kennt. Die Positionen der Spieler auf dem Feld aber stimmen.

Frank Fremerey: Wer im VRML-Player die einzelnen Spieler anklickt, erhält in der Statuszeile ausführliche Informationen über sie. Wie funktioniert das?

Olaf Montag: Der Redakteur, der die Szenen auswählt, muß die Rückennummer der Spieler auf dem Fernsehbild identifizieren. Gelingt das - und das ist keineswegs so einfach bei den unbekannteren Mannschaften - kann der Techniker das vorbereitete Digital-Männchen an der entsprechenden Position einsetzen. Bis zur Weltmeisterschaft gibt es also zu jedem Spieler der 32 Mannschaften ein digitales Pendant.

 
Performance-Fragen
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Ein Pentium 100 mit 32 Megabyte Arbeitsspeicher sei schon erforderlich, um das System, das auf VRML basiert (Virtual Reality Markup Language), zuhause genießen zu können, schreibt Yaron Lavie, New Business Development Manager der israelischen Software-Schmiede Orad.

Die Anforderungen an die Arbeitsspeicher-Ausstattung sind mit dem in Netscape integrierten Cosmo Player 1.0 deutlich untertrieben. Unter Windows 95 mit Communicator Standard und einem offenen Browser-Fenster produzierte mein P 100 trotz 64 MB RAM bereits 25 MB Auslagerungsdatei. MMX und 3D-Beschleuniger sollten die Leistung des Systems verbessern. Stimmt: mit P166MMX und S3 virge (4MB) lief die Anwendung bei 64 MB flüssig und mit 128 MB hörte die Festplatte auf zu rattern. Anders mit dem - von Orad empfohlenen - Cosmo Player 2.0:

Nach gut drei Megabyte download findet dieser bei der Installation zunächst Netscape nicht. Nutzer der englischen Communicator-Version haben dabei keine Probleme: nach dem "upgrade" auf den englischen Communicator lief das Ding. Bedauerlicherweise hat es SGI versäumt, dem Nutzer eine Eingriffsmöglichkeit bei der Installation einzuräumen, etwa, indem man dem Programm angibt, wo sich der eigene Browser im System versteckt. Auch auf das Sprachversions-Problem hinzuweisen versäumt SGI. Im Download-Bereich der deutschen SGI-Seiten liegt sinnigerweise exakt die gleiche Datei wie auf der amerikanischen Site. Um das festzustellen, habe ich noch einmal die 3 MB heruntergeladen.

Roni Rubinstein, Chefentwickler von VirtuaLive Soccer: "Die Java Virtual Machine und besonders die VRML-plug-ins sind bis vor kurzem noch 'bleeding edge' Technologien gewesen. Es lohnte sich für uns einfach nicht, Performance-Fragen anzugehen, als noch alle paar Wochen neue Beta-Versionen veröffentlicht wurden. Jetzt, wo sich die Szene etwas beruhigt hat, investieren wir viel Zeit und Arbeit, um Schwachstellen in der Leistung zu finden und zu beheben. Wenn wir damit fertig sind, können wir erst die wahren Performance-Werte sehen."

Die Orad-Messungen mit Cosmo-Player 2.0 (Pentium 133+ [empfohlen: Pentium 166MMX+] mit 32 MB RAM, soundblasterkompatible Sound-Karte) kann ich jetzt bestätigen, sie entsprechen im übrigen auch exakt den Hardware-Anforderungen an den Cosmo-Player selbst. Der Cosmo-Player 2.0 verlangt zusätzlich nach DiretX 3.0 oder besser.

Als Betriebssystem gibt Orad MS Windows 95 oder NT (war Java nicht irgendwann einmal plattformübergreifend angelegt?). Internet Explorer ab Version 4 oder Netscape ab Version 3.01 sind ebenfalls vonnöten, andere Browser funktionieren nicht.

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