Rede von Dr. Michael Vesper,
Stellvertretender Ministerpräsident
von Nordrhein-Westfalen
Ich freue mich sehr Ihnen, Professor Bartoszewski, anläßlich der Verleihung des Heine-Preises die Grüße und Glückwünsche der nordrhein-westfälischen Landesregierung zu überbringen.
Besonders grüße ich Sie von Herrn Ministerpräsidenten Johannes Rau, der die Ehre hatte, auf Ihre eindrucksvolle Rede als polnischer Außenminister am 28. April 1995 im Deutschen Bundestag zu antworten. Ich selbst habe Sie leider bisher noch nicht persönlich kennengelernt. Aber seit ich Ihre Rede im Bundestag gelesen habe, freue ich mich darauf, einen Mann zu treffen, der große europäische und humanitäre Gedanken vertritt.
Ich weiß, daß Historiker nicht gern von Zufällen reden. Sie bemängeln zu Recht, daß dies den Blick auf die Ursache verstellt, die jedem Zufall vorausgeht. Ich vermeide deshalb das Wort >>zufällig<< und stelle fest, daß sich heute sowohl der Geburtstag Heinrich Heines (zum 199. Mal) jährt als auch der Tag, an dem General Jaruzelski das Kriegsrecht über Polen verhängte (13. Dezember 1981). Unser heutiges Beisammensein ist mit beiden Ereignissen eng verknüpft.
Am 13. Dezember 1797 kam Heinrich Heine zur Welt, ein Mensch, der sich als Weltbürger verstand. In allen seinen Arbeiten (Französische Zustände, Die Romantische Schule...) trat er bedingungslos für die Emanzipation des Menschen ein und vermittelte das Gedankengut der Aufklärung. 1835 verbot der Deutsche Bund seine Schriften, 1933 verbrannten die Nazis die Bücher von Heinrich Heine und die anderer Demokraten.
An dieser Stelle kreuzt die Geschichte Ihren Lebensweg, Professor Bartoszewski. Im Alter von 17 Jahren erlebten Sie den Überfall der Deutschen auf Polen, ein Jahr später wurden Sie nach Auschwitz deportiert. Die Brutalität die Sie schon als junger Mensch erlitten, machte Sie zu einem leidenschaftlichen Gegner von Haß und Gewalt. Ihre Peiniger kommentierten Sie mit diesen Worten >>Sie sollen gerechterweise bestraft werden, aber uns steht es nicht zu, Rache an Ihnen zu nehmen.<<
Gerechtigkeit und Humanität sind für Sie in allen Lebenslagen zwei Seiten derselben Medaille geblieben. Ihr politisches Engagement ist wie das Heinrich Heines vom konsequenten Eintreten für Menschen- und Bürgerrechte geprägt. Und ebenso wie dem Schriftsteller Heine konnte alle äußere Unfreiheit Ihrer inneren Freiheit, Ihrem aufrechten Gang, nichts anhaben.
Der polnische Schriftsteller Stanislaw Jerzy Lec hat in seinen Unfrisierten Gedanken einmal gesagt >>Vor der Wirklichkeit kann man seine Augen verschließen, aber nicht vor der Erinnerung.<< Sie haben auch nach dem Zweiten Weltkrieg vor Ihrer Erinnerung nicht die Augen verschlossen, sondern sich als engagierter Journalist kritisch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in Polen auseinandergesetzt. Wieder wurden Sie verfolgt und inhaftiert. Das hat Sie nicht davon abgehalten, mit Ihren Publikationen dazu beizutragen, daß sich Ihr Land demokratisch entwickelte.
An den 13. Dezember 1981 - das war der Tag, an dem General Jaruzelski das Kriegsrecht ausrief - möchte ich erinnern, denn heute vor 15 Jahren verhaftete man Sie als Mitglied der Solidarnosc in Polen ein weiteres Mal. Sie haben jene Gewerkschaft mitgeprägt, die eine Entwicklung eingeleitet hat, die in letzter Konsequenz zur Auflösung der Militärblöcke in Europa, zur Überwindung der politischen Gegensätze und vor allem zur Einheit Deutschlands beigetragen hat.
Der 13. Dezember 1981 ist mir noch gut in Erinnerung. Ich hörte jede Stunde Nachrichten und hatte große Sorge, daß die Dinge ähnlich wie 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und 1968 in der CSSR blutig eskalieren könnten. Das Damoklesschwert eines erneuten russischen Einmarsches stand im Raum. Das war wohl auch der Grund, warum sich die Bundesregierung bedeckt hielt. Es gab damals viele spontane Hilfsaktionen der Gewerkschaften, Kirchen und Parteien für die bedrängten Polen. Johannes Rau war einer von denen, die reagierten. Aber Hätten wir nicht noch mehr tun können und müssen?
In Ihrer Bundestagsrede schildern Sie, daß es in den schwierigen Tagen des Jahres 1981 für die Anhänger der Solidarnosc in >>gewissem Sinne enttäuschend<< war, wie sich das offizielle Deutschland damals verhielt. Ich kann das gut nachvollziehen. Heinrich Böll nannte die Gründe, warum viele, die gegen den Terror des Schah-Regimes, gegen Pinochet und den Vietnamkrieg auf die Straße gingen, Probleme hatten, dies auch für Solidarnosc zu tun >>Völlig verwirrend für die westliche Intelligenz war die Tatsache, daß in Polen Arbeiter, Intellektuelle, darunter sogar sozialistische Intellektuelle, und Kirche sich einig waren. Wie konnte nach den oberflächlichen laizistischen Vorstellungen der westlichen Linken etwas gut sein, bei dem die Kirche so massiv mitwirkte? Lauter Irrtümer lauter Mißverständnisse über Polen.<<
Menschenrechte, Arbeiterrechte, Freiheit und Demokratie sind unteilbar. Daran erinnert uns der heutige Tag. Wir müssen auch deshalb selbstkritisch diesen Teil des deutsch-polnischen Verhältnisses aufarbeiten, weil sich die Frage immer neu stellt Hilft ein >>kritischer Dialog<<, um Menschenrechte im Iran, in China und anderswo durchzusetzen, oder haben die Demokratien wirksamere Mittel, um Diktatoren zu begegnen?
Polen hat sich die Demokratie erkämpft. Jetzt geht es Ihrem Land darum, eine feste Verankerung in den westlichen Wirtschafts- und Sicherheitsstrukturen zu finden, ohne dabei das besondere Verhältnis zu den anderen mittel-ost-europäischen Nachbarn und zu Rußland zu vernachlässigen. Polen betreibt seit 1989 erstmals eine souveräne Außenpolitik und füllt seine Rolle als wichtige Macht im Zentrum Europas nach seinen eigenen Interessen und aufgrund seiner ganz besonderen historischen Erfahrungen aus. Unser östlicher Nachbar möchte in die EU und in die NATO aufgenommen werden.
Wie schnell Polen in das Europäische Haus gleichberechtigt einziehen kann, ist noch offen. Bei der Frage, wie die zukünftige europäische Sicherheitsstruktur aussehen soll, gibt es noch erheblichen Diskussionsbedarf. Aber wir Deutschen werden alles tun, um Polen auf seinem neuen demokratischen, selbstbewußten und unabhängigen Kurs zu unterstützen. Deutschland hat sich mit Frankreich ausgesöhnt. Dies ist ein Vorbild für die Aussöhnung mit Polen.
Nordrhein-Westfalen bietet auch in Zukunft seine Hilfe an. Hier in Düsseldorf ist das Polnische Kulturinstitut zu Hause, das mit seinen Veranstaltungen die polnisch-deutsche Verständigung voranbringt. Das ist der Weg, den wir weiter beschreiten wollen. Neben den Staaten müssen sich auch die Menschen annähern. Ich wünsche mir, daß die persönlichen Kontakte vor allem zwischen Jugendlichen beider Länder noch intensiver werden.
Für diese Jugend, Professor Bartoszewski, sind Sie Vorbild. Für mich und für die noch Jüngeren verkörpern Sie Mut, Kreativität, lmprovisationstalent, Toleranz, Menschlichkeit und Barmherzigkeit. Der Name Wladyslaw Bartoszewski wurde für und in Deutschland zu einem Programm der Versöhnung! Sie sind leidenschaftlich für eine Verständigung zwischen Deutschen und Polen eingetreten und haben uns dabei beide Hände gereicht. Vor dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat haben Sie uns im letzten Jahr im Namen aller Polen das Vertrauen ausgesprochen, das >>Vertrauen ... zu dem demokratischen Staat und dem deutschen Volk<<. Nach dem Leid, das Deutsche den Polen zugefügt haben, ist ein solches Vertrauen nicht selbstverständlich. Zur Versöhnung zwischen Polen und Deutschland gehört auch, daß die noch lebenden polnischen Zwangsarbeiter eine angemessene Entschädigung erhalten. Der Hilfsfonds >>Stiftung deutsch-polnische Aussöhnung<< bedarf der Unterstützung derjenigen deutschen Unternehmen, die Zwangsarbeiter beschäftigten. Bisher haben nur ganz wenige Firmen einen Beitrag in die Stiftung eingezahlt. Ich appelliere an all die anderen betroffenen Unternehmen Folgen Sie diesem Beispiel! Ein solches Handeln würde auch unsere bundesdeutsche Gesellschaft um ein Stück gelebte Humanität bereichern. Sie, Professor Bartoszewski, haben uns vorgemacht, wie das geht Sie haben uns den Weg gewiesen, wie aus Feinden Nachbarn, vielleicht Freunde werden dafür danke ich Ihnen.
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