Prof. Dr. Ruth Klüger, Preisträgerin der Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft 1997
(Das gesprochene Wort der offiziellen Rede zur Verleihung der Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft
am 16. Februar 1997 im Düsseldorfer Schauspielhaus)
Der romantische Aufklärer
Es ist schwer zu sagen, was man einem Dichter schuldet, den man seit der Kindheit gelesen und auswendig gelernt hat, wie es mir mit Heine erging. Die Schwierigkeit rührt daher, daß man ja durch frühe und dauerhafte literarische Erlebnisse in die Schriftsprache sozialisiert wird. So wie ich durch den mündlichen Umgang österreichisches Deutsch sprechen lernte, so lernte ich durch den schriftlichen Umgang Heinesches, Schillersches Deutsch als die dichterische Hochsprache lesen. Da weiß man nicht mehr recht, wann und wie sich das Werk eines bestimmten Autors auswirkt. Nur war bei Heine natürlich gleich der Haken dabei die klassische Schriftsprache war nicht humorlos, wie die Schillersche. Sie war aber auch nicht einfach humorvoll, wie bei Wilhelm Busch, den ich ja auch gelesen und genossen habe, wie alle deutschsprachigen Kinder. Bei Heine gab es das Pathos und dessen Berechnung, es gab die Tragikomödie der Sprache, man wußte nie, woran man war, verlassen konnte man sich eigentlich nur auf den Stilbruch. Das wars ja, was seine Feinde ihm so übel nahmen, der >>trödelhafte Bänkelsängerton<<, der uns Heutigen freilich die >>conditio humana<< besser wiederzugeben scheint als das durch zu viele Lügen ausgehöhlte Pathos eines durchgehend hohen Stils.
Ich habe mir naturgemäß öfters Gedanken darüber gemacht, warum mein Buch weiter leben, von dem in Herrn Raus Laudatio die Rede war, so großen Anklang fand und findet, wenn es doch nichts berichtet, was man nicht vorher schon wußte. Und ich meine, eine mögliche Antwort auf diese Frage sind die Stilbrüche, das Hin und Her zwischen den verschiedenen Gedankenebenen, auf denen wir alle uns bewegen. Dieser uneinheitliche Ton ist der Ton der >>Aufrichtigkeit<<, die oft bei diesem Buch gelobt wird und manchmal auch Entrüstung hervorruft. (Zwar habe ich tatsächlich an keiner Stelle gelogen, aber woher wollen die Leute das wissen?) Ich glaube, das habe ich von Heine gelernt, der in dieser Beziehung ein großer moderner Dichter war keine (hohen oder niederen) Tonlagen konsequent durchhalten, erstens weil es langweilt, zweitens weils nicht stimmt. Unser Verstand ist kein Seiltänzer, der hoch über der Erde schwebt ohne Furcht, herunterzufallen. Doch auch umgekehrt unser Gemüt ist sehr wohl eine Fußgängerin, die gerne eine Seiltänzerin sein möchte und sich daher nach der hohen Stilebene sehnt.
Friedrich Schiller, der mit seinem dialektisch geschulten, hervorragenden Verstand und seinem idealistisch veranlagten Gemüt diese Dinge am besten durchschaute, hat die Fehde zwischen dem hohen und dem niederen Stil, die Heine so erfolgreich neben einander gedeihen ließ, in einem Gedicht untergebracht, ein Angriff, allerdings nicht auf Heines Werk, das es noch nicht gab, sondern auf Voltaire. Voltaire war der Autor einer satirischen Behandlung des Jeanne-dArc-Stoffes gewesen, den Schiller bekanntlich in den Pantheon des poetischen Heroismus hob. So dichtete Schiller denn über Voltaire
Es liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen
Und das Erhabne in den Staub zu ziehn.
[....]
Krieg führt der Witz auf ewig mit dem Schönen,
Er glaubt nicht an den Engel und an Gott;
Dem Herzen will er seine Schätze rauben,
Den Wahn bekriegt er und verletzt den Glauben.
Sie merken schon, wie das auf Heine paßt. Der Witz bekämpft >>den Wahn<< - das wäre ja noch gut und schön, aber blitzschnell wechselt Schiller auf >>Glauben<<. Glauben und Wahn werden gleichgesetzt oder gehen doch Hand in Hand. Der Witz ist blasphemisch. Das ist ganz richtig gesehen. Es ist der Preis der Aufklärung, daß mit dem Wahn auch der Glauben in Frage gestellt wird. Wie bei Voltaire, so ists bei Heine, und es wurde ihm weidlich übel genommen. Er glaubt nicht an den Engel. Lessing, die Leitfigur der deutschen Aufklärung, stellt uns im ersten Akt seines Nathan der Weise einen aufgeklärten jüdischen Vater vor, der ganz folgerichtig als Erziehungsprojekt den >>Wahn<< seiner Adoptivtochter, sie sei von einem Engel gerettet worden, in rationalen und humanen Argumenten auflöst. Damit weist er sich von Anfang an als vernünftiger Weltbürger aus. Heine seinerseits weist sich als Schüler Lessings aus, wenn er in seinem Buch Die romantische Schule, wo Lessing eigentlich überhaupt nicht hingehört, zu Beginn über eben diesen Lessing schreibt >>In allen seinen Werken lebt dieselbe große soziale Idee, dieselbe fortschreitende Humanität, dieselbe Vernunftreligion, deren Johannes er war, und dessen Messias wir noch erwarten... Mehr als man ahnte war Lessing auch politisch bewegt.<< Erwartung des Messias? Die Metapher kommt aus der jüdischen, nicht der christlichen Theologie, die ihren Messias ja schon seit zweitausend Jahren hat, während die Juden sich noch auf ihn freuen. In Gesellschaft des poetischen und politischen Aufklärers vergißt Heine seinen Übertritt zur evangelischen Kirche. Er fährt fort >>ich kann nicht umhin zu bemerken, daß er in der ganzen Literaturgeschichte derjenige Schriftsteller ist, den ich am meisten liebe.<<
Ist Heine als politischer Dichter heute noch lesenswert? Als er eine seiner bittersten Satiren, Das Sklavenschiff, schrieb, gab es die Sklaverei noch in Amerika. Und, als er unter dem Einfluß von Karl Marx seine berühmte Anklage Die schlesischen Weber verfaßte, gab es noch keine Gewerkschaften, die sich für die Ausgebeuteten einsetzen konnten. So scheinen diese Gedichte nur mehr Zeitdokumente, bis wir an die Arbeitsplätze in der dritten Welt denken, auf denen versklavte Kinder die Fußbälle nähen, mit denen sich die reichen Erwachsenen auf den Spielplätzen unserer Welt tummeln. Die Verdinglichung des Menschen hat mit dem Fall der Berliner Mauer nicht aufgehört, sondern stellt uns im Gegenteil in der globalen Marktwirtschaft vor neue Aufgaben und Sünden gegen die Menschlichkeit. Wie modern und beißend sind aus dieser Sicht wieder die Heine-Verse, in denen der Sklavenhändler über seinen kranken Negern mit gefalteten Händen betet >>Verschone ihr Leben um Christi willn,/Der für uns alle gestorben!/Denn bleiben mir nicht dreihundert Stück/So ist mein Geschäft verdorben.<< >>Stück<< (für Mensch) ist genial - >>Stück<< sagt alles!
Über Heines Bemühungen, aufgeklärt zu wirken, besteht kein Zweifel. Doch ist sein Einsatz für den Rationalismus durchsetzt von Irrationalismen. Sicherlich hat er den Wahn wie den Glauben bekämpft, weil ihm der letztere als eine Form des ersteren erschien, das heißt Glaube war ihm gleich Aberglaube. Aber er war nicht gefeit gegen die diversen Aberglauben, sie übten ihre Anziehungskraft auf ihn aus, eine sentimentale Anziehungskraft, denn sie war ja eine Lüge, sie stimmte nicht mit seinen Überzeugungen überein. Lügenentlarvung das kann ein Lügner am besten. Und da Kitsch eine Art von Lüge ist, so kann den Kitsch am besten der entlarven, der selbst anfällig ist, sentimentale Lyrik zu verfassen. Manchmal durchschaute er die Tatsache, daß er selbst das Fräulein am Meere war,die >>so sehre<< über den Sonnenuntergang seufzte, und über die er sich in dem bekannten kurzen Gedicht lustig macht.
Die Vertreter der >>poesie pure<<, der >>reinen<< Dichtung, oft Vertreter des reinen oder edlen Kitsches, ließen und lassen seine ungebrochenen Gedichte eher gelten als die viel typischeren Stimmungsbrüche, weil sie die geistigen Werte, eben das was Schiller das >>Erhabne<< nannte, nicht in den Staub ziehen wollen, nicht einmal um der Wahrheit willen. Und leisten auf diese Weise der Zensur, wenn nicht dem Faschismus Vorschub. Die Nazis hätten Heine zu ihrem bête noire ernennen müssen, selbst wenn er kein Jude gewesen wäre, einfach deshalb, weil er unter allen deutschen Dichtern die Anfälligkeit für die von der Wirklichkeit losgelösten Ideale am härtesten bekämpfte.
Zurecht wird und wurde seine mutige Aufrichtigkeit gelobt. Und doch, wie ich eben andeutete, war er leider ein Mensch, der oft den Unterschied zwischen Lüge und Fiktion nicht recht durchschaute. Er log unentwegt, angefangen mit seinem Geburtsdatum, das wir dieses Jahr feiern. Falls er sein Geburtsjahr, wie manche Forscher annehmen, tatsächlich nicht angeben konnte, so log er jedenfalls über seine Unkenntnis, denn er gab ja standhaft immer wieder verschiedene Geburtsdaten an. Und dann war da sein Übertritt vom nichtgläubigen Juden zum nichtgläubigen Christen durch das Glaubensbekenntnis der Taufe. Sicherlich wurde er zu diesem Schritt wenn nicht gezwungen so doch unter starken Druck gesetzt von einer Gesellschaft, die einem ehrgeizigen jungen Juden jede Menge von Knüppeln zwischen die Beine warf, und er hat es dieser Gesellschaft auch nie verziehen. Aber sich selbst hat ers wohl auch nicht verziehen, denn eine Art Verrat an der eigenen Gemeinschaft, aus der man bewußt aus Opportunismus und nicht aus Überzeugung austrat, das wars immerhin, und er wird es auch wohl so empfunden haben. Der Niederschlag dieses für den Juden erniedrigenden Rituals der Taufe ist überall in seinem Werk zu spüren, besonders im Spätwerk. Er spottet über das Judentum (als Rechtfertigung?) und mokiert sich gleichzeitig über die verlogenen Christen.
Über Assimilation und den Antisemitismus, unter dem Heine sein Leben lang zu leiden hatte und der seinen Nachruhm mehr als hundert Jahre lang beeinträchtigte, gibt es ein Gedicht >>An Edom<<. Darin ist das lyrische Ich der Jude, das Du der Christ (Edom oder Esau, Jokobs Zwillingsbruder, wird auch sonst oft als die Verkörperung des Nichtjuden apostrophiert)
An Edom!
Ein Jahrtausend schon und länger
Dulden wir uns brüderlich;
Du, du duldest, daß ich atme,
Daß du rasest, dulde ich.
Manchmal nur, in dunklen Zeiten,
Ward dir wunderlich zumut,
Und die liebefrommen Tätzchen
Färbtest du mit meinem Blut.
Jetzt wird unsre Freundschaft fester,
Und noch täglich nimmt sie zu;
Denn ich selbst begann zu rasen,
Und ich werde fast wie du!
Die dunklen Zeiten lagen zwar leider nicht so sehr in der Vergangenheit, wie Heine damals annahm, sondern noch in der Zukunft, und darum trifft das Gedicht auch heute einen Nerv; doch selbst ein Racheengel unter den Historikern, wie Daniel Goldhagen, gibt zu, daß es sich jetzt doch langsam um ein Phänomen der Vergangenheit handelt. Zwar will mancher das Gespenst des Judenhasses in seinem Gegenbild, der Schrumpfgestalt des Philosemetismus, die im Lande grassiert, erkennen. Doch nicht zu rütteln ist an der Tatsache, daß der Davidstern aus Edelmetall chic geworden ist, und das ist ein ausgesprochener Fortschritt gegenüber dem Judenstern aus Stoff, den ich in meiner Wiener Kindheit noch zu tragen hatte. Ebensowenig ist daran zu rütteln, daß die Autorin eines so jüdischen Buches wie meine Autobiographie weiter leben es ist, eine versilberte Dichter-Büste aus feierlichem Anlaß in Deutschland in Empfang nehmen darf.
Es ist stiller geworden um Heinrich Heine. Zwar wird mehr als je über ihn geforscht - davon geben die Jahrbücher der Heinrich-Heine-Gesellschaft, die ich als langjähriges Mitglied der nordamerikanischen Heine-Society regelmäßig beziehe, beredtes Zeugnis ab - und gelesen wird er nach wie vor, denn er war schon immer als Lyriker nicht nur den Kennern sondern auch einem breiten Publikum zugänglich. Aber die Wogen und Gemüter seines Nachruhms schäumen nicht mehr pro und con(tra), wie sie so lange taten.
Das war damals anders. Als sein Freund August von Platen nach passenden Beleidigungen für Heine suchte, ließ er seine Komödienfigur Nimmermann sagen >>Doch möcht ich nicht sein Liebchen sein; denn seine Küsse sondern ab Knoblauchsgeruch.<< Dazu Heine in einem Brief von 1830, in dem er seine rücksichtslose und berüchtigt unfaire Konteroffensive rechtfertigte >>Er hatte mich angegriffen mit Knoblauchessen und den alten Ammenmärchen; ich mußt ihn vernichten.<< Wir lesens mit Erstaunen. Heute ißt ganz Deutschland Knoblauch, besonders das fortschrittliche Deutschland ißt Knoblauch. Progressive Hausfrauen, die ihren Mozarella-Käse nicht ohne Basilikum reichen, kaufen ihren Knoblauch im Reformhaus und rühmen seine gesundheitsfördernden Eigenschaften. Sogar die hiesige Universität hat nach jahrelangen hitzigen Kontroversen den Namen des einzigen weltberühmten Düsseldorfers angenommen. So sind viele ehemalige Streitäpfel friedlich verzehrt worden.
Gerade darum sind die letzten Verse von >>An Edom<< noch heute erheiternd. (>>Denn ich selbst begann zu rasen/Und ich werde fast wie du!<<) Die Anklage schlägt um in die Selbstkritik des emanzipierten, assimilierten Juden. Zwar ist aus dem Text nicht deutlich zu ersehen, inwiefern das jüdische Ich >>zu rasen<< anfängt, sicher ist nur, daß der soziale >>Fortschritt<<, der den Juden Gleichberechtigung bringt, für diese neu Assimilierten auch problematische Aspekte aufweist, die der Leser sich beim Ausklingen des Gedichts durch den Kopf gehen lassen kann.
Um auf seine/meine Büste zurückzukommen. Wenn ich mir Heinrich Heine vor Augen rufe, so drängt sich ein Bild vor alle anderen, vor den romantischen Jüngling, mit in die Hand gestütztem Kopf, vor die Gemälde und sogar vor die Totenmaske, nach der diese Büste gebildet ist, die meiner Vorstellung von ihm am nächsten kommt. Das Bild, das mich fasziniert ist nur in Worten überliefert und beschreibt ihn in der Matratzengruft. >>Mein Herz ist liebend wie das Licht<<, hatte er im Wintermärchen geschrieben. Die Liebe zum Licht ist natürlich die Liebe zur Aufklärung, die die Franzosen ja Lumières nennen. Heine sah sich als der gute Mensch der Aufklärung, der unter die Diebe der Romantik gefallen war. Jahrelang litt er an einem Symptom, das ihn daran hinderte, die Augen offen zu halten. Der Muskel des Augenlids versagte. Um sehen zu können - Menschen, Buchstaben, die Straße vorm Haus - mußte er sich entweder weit zurücklehnen oder das Lid mit der Hand hoch halten. So - mit den Fingern am Augenlid - entspricht er meiner Vorstellung vom heroischen Aufklärer, der sich über das Alice-in-Wonderland-Zitat gefreut hätte. Wie Goethes Lynkeus war er >>zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt<< - doch hatte er keineswegs die glücklichen Augen, die alles gutheißen. Er sah die Welt eben nicht wie Lynkeus vom Turme sondern vom Krankenbett schon vor dem Einsetzen der eigenen Krankheit verglich er immer wieder die geistigen, politischen und gesellschaftlichen Übel Europas mit körperlichen Gebrechen. Und so sehe ich ihn physisch zusammengeschrumpft, geistig bis zuletzt hellwach, wie er mit Gewalt seine Sehkraft gegen die Todeskrankheit, die ihm vorzeitig die Augen schließen will, behauptet.
Ich habe anfänglich Heines Worte über Lessing gelesen und lese diese Stelle nun zu Ende >>Die Literaturgeschichte<<, schreibt Heine, >>ist die große Morgue, wo jeder seine Toten aufsucht, die er liebt, oder womit er verwandt ist. Wenn ich da unter so vielen unbedeutenden Leichen den Lessing oder den Herder sehe mit ihren erhabenen Menschengesichtern, dann pocht mir das Herz. Wie dürfte ich vorübergehen, ohne euch flüchtig die blassen Lippen zu küssen!<<
Sie sehen, er hat das Pathos so gut beherrscht wie den Witz. Ich, die ich mein Berufsleben in der obengenannten Morgue der Literaturgeschichte verbracht habe, würde mich nicht trauen, ein solches Pathos auf ihn anzuwenden. Aber wenn ich mich trauen würde, so wäre das seine unter jenen >>erhabenen<< und irgendwie verwandten >>Menschengesichtern<<, an denen man nicht grußlos vorübergeht. Seine letzte Freundin, Elise Krinitz, alias Camilla Selden, alias die Mouche, traute sich noch zu schreiben >>Ich glaubte einen Christuskopf vor mir zu sehen, über dessen Gesicht Mephistos Lächeln glitt.<< Solche Worte kommen mir nur als Zitat über die Lippen. Schlichter ausgedrückt gesagt, freue ich mich, seine Züge der romantischen Aufklärung als Büste aus seiner Geburtsstadt mit in ein fernes Zuhause nehmen zu dürfen.
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