Die Schere im Kopf oder:
>>Heine und die Folgen<<
von Karl Kraus
Zwei Richtungen geistiger Unkultur: die Wehrlosigkeit vor
dem Stoff und die Wehrlosigkeit vor der Form. Die eine erlebt in der Kunst
nur das Stoffliche. Sie ist deutscher Herkunft. Die andere erlebt schon
im Stoff das Künstlerische. Sie ist romanischer Herkunft. Der einen
ist die Kunst ein Instrument; der andern ist das Leben ein Ornament. In
welcher Hölle will der Künstler gebraten sein? Er möchte
doch wohl unter den Deutschen wohnen. Denn obgleich sie die Kunst in das
Patentprokrustesbett ihres Betriebs gespannt haben, so haben sie doch auch
das Leben ernüchtert, und das ist ein Segen: Phantasie gewinnt, und
in die öden Fensterhöhlen stelle jeder sein eigenes Licht. Nur
keine Girlanden! Nicht dieser gute Geschmack, der dort drüben und
dort unten das Auge erfreut und die Vorstellung belästigt. Nicht diese
Melodie des Lebens, die meine Musik stört, welche sich in dem Gebrause
des deutschen Werktags erst zu sich selbst erhebt. Nicht dieses allgemeine
höhere Niveau, auf dem es so leicht ist zu beobachten, daß der
Camelot in Paris mehr Grazie hat als der preußische Verleger. Glaubt
mir, ihr Farbenfrohen, in Kulturen, in denen jeder Trottel Individualität
besitzt, vertrotteln die Individualitäten. Und nicht diese mediokre
Spitzbüberei der eigenen Dummheit vorgezogen! Und nicht das malerische
Gewimmel auf einer alten Rinde Gorgonzola, der verläßlichen
Monotonie des weißen Sahnekäses! Schwer verdaulich ist das Leben
da und dort. Aber die romanische Diät verschönert den Ekel da
beißt man an und geht drauf. Die deutsche Lebensordnung verekelt
die Schönheit, und stellt uns auf die Probe: wie schaffen wir uns
die Schönheit wieder? Die romanische Kultur macht jedermann zum Dichter.
Da ist die Kunst keine Kunst. Und der Himmel eine Hölle.
Heinrich Heine aber hat den Deutschen die Botschaft dieses
Himmels gebracht, nach dem es ihr Gemüt mit einer Sehnsucht zieht,
die sich irgendwo reimen muß und die in unterirdischen Gängen
direkt vom Kontor zur blauen Grotte führt. Und auf einem Seitenweg,
den deutsche Männer meiden von der Gansleber zur blauen Blume. Es
mußte geschehen, daß die einen mit ihrer Sehnsucht, die anderen
mit ihren Sehnsüchten Heinrich Heine für den Erfüller hielten.
Von einer Kultur gestimmt, die im Lebensstoff schon alle Kunst erlebt,
spielt er einer Kultur auf, die von der Kunst nur den stofflichen Reiz
empfängt. Seine Dichtung wirkt aus dem romantischen Lebensgefühl
in die deutsche Kunstanschauung. Und in dieser Bildung bietet sie das utile
dulci, ornamentiert sie den deutschen Zweck mit dem französischen
Geist. So, in diesem übersichtlichen Nebeneinander von Form und Inhalt,
worin es keinen Zwist gibt und keine Einheit, wird sie die große
Erbschaft, von der der Journalismus bis zum heutigen Tagee lebt, zwischen
Kunst und Leben ein gefährlicher Vermittler, Parasit an beiden, Sänger,
wo er nur Bote zu sein hat, meldend, wo zu singen wäre, den Zweck
im Auge, wo eine Farbe brennt, zweckblind aus Freude am Malerischen, Fluch
der literarischen Utilität, Geist der Utiliteratur. Das Instrument
zum Ornament geworden, und so entartet, daß mit dem kunstgewerblichen
Fortschritt in der täglichen Presse kaum noch jene Dekorationswut
wetteifern kann, die sich an den Gebrauchsgegenständen betätigt;
denn wir haben wenigstens noch nicht gehört, daß die Einbruchsinstrumente
in der Wiener Werkstätte erzeugt werden. Und selbst im Stil der modernsten
Impressionsjournalistik verleugnet sich das Heinesche Modell nicht. Ohne
Heine kein Feuilleton. Das ist die Franzosenkrankheit, die er uns eingeschleppt
hat. Wie leicht wird man krank in Paris! Wie lockert sich die Moral des
deutschen Sprachgefühls! Die französische gibt sich jedem Filou
hin. Vor der deutschen Sprache muß einer schon ein ganzer Kerl sein,
um sie herumzukriegen, und dann macht sie ihm erst die Hölle heiß.
Bei der französischen aber geht es glatt, mit jenem vollkommenen Mangel
an Hemmung, der die Vollkommenheit einer Frau und der Mangel einer Sprache
ist. Und die Himmelsleiter, die zu ihr führt, ist eine Klimax, die
du im deutschen Wörterbuch findest: Geschmeichel, Geschmeide, Geschmeidig,
Geschmeiß. Jeder hat bei ihr das Glück des Feuilletons. Sie
ist ein Faulenzer der Gedanken. Der ebenste Kopf ist nicht einfallsicher,
wenn er es mit ihr zu tun hat. Von den Sprachen bekommt man alles, denn
alles ist in ihnen, was Gedanke werden kann. Die Sprache regt an und auf,
wie das Weib, gibt die Lust und mit ihr den Gedanken. Aber die deutsche
Sprache ist eine Gefährtin, die nur für den dichtet und denkt,
der ihr Kinder machen kann. Mit keiner deutschen Hausfrau möchte man
so verheiratet sein. Doch die Pariserin braucht nichts zu sagen als im
entscheidenden Augenblick très joli, und man glaubt ihr alles. Sie
hat den Geist im Gesicht. Und hätte ihr Partner dazu die Schönheit
im Gehirn, das romanische Leben wäre nicht bloß très
joli, sondern fruchtbar, nicht von Niedlichkeiten und Nippes umstellt,
sondern von Taten und Monumenten.
Wenn man einem deutschen Autor nachsagt, er müsse
bei den Franzosen in die Schule gegangen sein, so ist es erst dann das
höchste Lob, wenn es nicht wahr ist. Denn es will besagen: er verdankt
der deutschen Sprache, was die französische jedem gibt. Hier ist man
noch sprachschöpferisch, wenn man dort schon mit den Kindern spielt,
die hereingeschneit kamen, man weiß nicht wie. Aber seit Heinrich
Heine den Trick importiert hat, ist es eine pure Fleißaufgabe, wenn
deutsche Feuilletonisten nach Paris gehen, um sich Talent zu holen. Wenn
einer heute wirklich nach Rhodos fährt, weil man dort besser tanzen
kann, so ist er wahrlich ein übertrieben gewissenhafter Schwindler.
Das war zu Heines Zeit notwendig. Man war in Rhodos gewesen, und da glaubten
sie einem den Hopser. Heute glauben sie einem Lahmen, der in Wien bleibt,
den Cancan, und mancher spielt jetzt die Bratsche, dem einst kein Finger
war heil. Der produktive Anteil der Entfernung vom Leser ist ist ja immer
noch nicht zu unterschätzen, und nach wie vor ist es das fremde Milieu,
was sie für Kunst halten. In den Dschungeln hat man viel Talent, und
das Talent beginnt im Osten etwa bei Bukarest. Der Autor, der fremde Kostüme
ausklopft, kommt dem stofflichen Interesse von der denkbar bequemsten Seite
bei. Der geistige Leser hat deshalb das denkbar stärkste Mißtrauen
gegen jene Erzähler, die sich in exotischen Milieus herumtreiben.
Der günstigste Fall ist noch, daß sie nicht dort waren; aber
die meisten sind leider doch so geartet, daß sie wirklich eine Reise
tun müssen, um etwas zu erzählen. Freilich, zwei Jahre in Paris
gewesen zu sein, ist nicht nur der Vorteil dieser Habakuks, sondern ihre
Bedingung. Den Flugsand der französischen Sprache, der jedem Tropf
in die Hand weht, streuen sie dem deutschen Leser in die Augen. Und ihnen
gelte die Umkehrung eines Wortes Nestroys, dieses wahren satirischen Denkers:
ja von Paris bis St. Pölten gehts noch, aber von da bis Wien zieht
sich der Weg! (Wenn nicht auf dieser Strecke wieder die Heimatsschwindler
ihr Glück machen.) Mit Paris nun hatte man nicht bloß den Stoff,
sondern auch die Form gewonnen. Aber die Form, diese Form, die nur eine
Enveloppe des Inhalts, nicht er selbst, die nur das Kleid zum Leib ist
und nicht das Fleisch zum Geist, diese Form mußte nur einmal entdeckt
werden, um für allemal da zu sein. Das hat Heinrich Heine besorgt,
und dank ihm müssen sich die Herren nicht mehr selbst nach Paris bemühen.
Man kann heute Feuilletons schreiben, ohne zu den Champs Elysées
mit der eigenen Nase gerochen zu haben. Der große sprachschwindlerische
Trick, der sich in Deutschland viel besser lohnt als die größte
sprachschöpferische Leistung, wirkt fort durch die Zeitungsgeschlechter
und schafft aller Welt, welcher Lektüre ein Zeitvertreib ist, den
angenehmsten Vorwand, der Literatur auszuweichen. Das Talent flattert schwerpunktlos
in der Welt und gibt dem Haß des Philisters gegen das Genie süße
Nahrung. Ein Feuilleton schreiben heißt auf einer Glatze Locken drehen;
aber diese Locken gefallen dem Publikum besser als eine Löwenmähne
der Gedanken. Esprit und Grazie, die gewiß dazu gehört haben,
auf den rick zu kommen und ihn zu handhaben, gibt er selbsttätig weiter.
Mit leichter Hand hat Heine das Tor dieser furchtbaren Entwicklung aufgestoßen,
und der Zauberer, der der Unbegabung zum Talent verhalf, steht gewiß
nicht allzu hoch über der Entwicklung.
Der Trick wirkt fort. Der Verschweinung des praktischen
Lebens durch das Ornament, wie sie der gute Amerikaner Adolf Loos nachweist,
entspricht die Durchsetzung des Journalismus mit Geistelementen, die aber
zu einer noch katastrophaleren Verwirrung führen mußte. Anstatt
die Presse geistig trocken zu legen und die Säfte, die aus der Literatur
>>gepreßt<<, ihr erpreßt wurden, wieder der Literatur
zuzuführen, betreibt die fortschrittliche Welt immer aufs neue die
Renovierung des geistigen Zierats. Das literarische Ornament wird nicht
zerstampft, sondern in den Wiener Werkstätten des Geistes modernisiert.
Feuilleton, Stimmungsbericht, Schmucknotiz - dem Pöbel bringt die
Devise >>Schmücke dein Heim<< auch die poetischen Schnörkel
ins Haus. Und nichts ist dem Journalismus wichtiger, als die Glasur der
Korruption immer wieder auf den Glanz herzurichten. In dem Maße,
als er den Wucher an dem geistigen und materiellen Wohlstand steigert,
wächst auch sein Bedürfnis, die Hülle der schlechten Absicht
gefällig zu machen. Dazu hilft der Geist selbst, der sich opfert,
und der Geist, der dem Geist erstohlen ward. Der Fischzug einer Sonntagsauflage
kann nicht mehr ohne den Köder der höchsten literarischen Werte
sich vollziehen, der >>Volkswirt<< läßt sich auf keinen
Raub mehr ein, ohne daß die überlebenden Vertreter der Kultur
die Hehler machen. Aber weit schändlicher als diese Aufführung
der Literatur im Triumph dieses Raubzugs, weit gefährlicher als dies
Attachement geistiger Autorität an die Schurkerei, ist deren Durchsetzung,
deren Verbrämung mit dem Geist, den sie der Literatur abgezapft hat
und den sie durch die lokalen Teile und alle andern Aborte der öffentlichen
Meinung schleift. Die Presse als eine soziale Einrichtung, weils denn einmal
unvermeidlich ist, daß die Phantasiearmut mit Tatsachen geschoppt
wird, hätte in der fortschrittlichen Ordnung ihren Platz. Was aber
hat die Meldung, daß es in Hongkong geregnet hat, mit dem Geist zu
schaffen? Und warum erfordert eine arrangierte Börsenkatastrophe oder
eine kleine Erpressung oder gar nur die unbezahlte Verschweigung einer
Tatsache den ganzen großen Apparat, an dem mitzuwirken Akademiker
sich nicht scheuen und selbst Ästheten den Schweiß ihrer Füße
sich kosten lassen? Daß Bahnhöfe oder Anstandsorte, Werke des
Nutzens und der Notwendigkeit, mit Kinkerlitzchen dekoriert werden, ist
erträglich. Aber warum werden Räuberhöhlen von Van de Velde
eingerichtet? Nur deshalb, weil sonst ihr Zweck auf den ersten Blick kenntlich
wäre und die Passanten sich nicht willig täglich zweimal die
Taschen umkehren ließen. Die Neugierde ist immer größer
als die Vorsicht, und darum schmückt sich die Lumperei mit Troddeln
und Tressen.
Ihren besten Vorteil dankt sie jenem Heinrich Heine, der
der deutschen Sprache so sehr das Mieder gelockert hat, daß heute
alle Kommis an ihren Brüsten fingern können. Das Gräßliche
an dem Schauspiel ist die Identität dieser Talente, die einander wie
ein faules Ei dem andern gleichen. Die impressionistischen Laufburschen
melden heute keinen Beinbruch mehr ohne Stimmung und keine Feuersbrunst
ohne die allen gemeinsame persönliche Note. Wenn der eine den deutschen
Kaiser beschreibt, beschreibt er ihn genau so, wie der andere den Wiener
Bürgermeister, und von den Ringkämpfern weiß der andere
nichts anderes zu sagen, als der eine von einem Flußbad. Immer paßt
alles zu allem, und die Unfähigkeit, alte Worte zu finden, ist eine
Subtilität, wenn schon die neuen zu allem passen. Dieser Typus ist
entweder ein Beobachter, der in schwelgerischen Adjektiven reichlich einbringt,
was ihm die Natur an Hauptwörtern versagt hat, oder ein Ästhet,
der durch Liebe zur Farbe und durch Sinn für die Nuance hervorsticht
und an den Dingen der Erscheinungswelt noch so viel wahrnimmt, als Schwarz
unter den Fingernagel geht. Dabei haben sie einen Entdeckerton, der eine
Welt voraussetzt, die eben erst erschaffen wurde, als Gott das Sonntagsfeuilleton
erschuf und sah, daß es gut war. Diese jungen Leute gehen zum erstenmal
in ein Bad, wenn sie als Berichterstatter hineingeschickt werden. Das mag
ein Erlebnis sein. Aber sie verallgemeinern es. Freilich kommt die Methode,
einen Livingstone in der dunkelsten Leopoldstadt zu zeigen, der Wiener
Phantasiearmut zu Hilfe. Denn die kann sich einen Beinbruch nicht vorstellen,
wenn man ihr nicht das Bein beschreibt. In Berlin steht es trotz üblem
Ehrgeiz noch nicht so schlimm. Wenn dort ein Straßenbahnunfall geschehen
ist, so beschreiben die Berliner Reporter den Unfall. Sie greifen das Besondere
dieses Straßenbahnunfalls heraus und ersparen dem Leser das allen
Straßenbahnunfällen Gemeinsame. Wenn in Wien ein Straßenbahnunglück
geschieht, so schreiben die Herren über das Wesen der Straßenbahn,
über das Wesen des Straßenbahnunglücks und über das
Wesen des Unglücks überhaupt, mit der Perspektive: Was ist der
Mensch?.. Über die Zahl der Toten, die uns etwa noch interessieren
würde, gehen die Meinungen auseinander, wenn sich nicht eine Korrespondenz
ins Mittel legt. Aber die Stimmung, die Stimmung treffen sie alle; und
der Reporter, der als Kehrichtsammler der Tatsachenwelt sich nützlich
machen könnte, kommt immer mit einem Fetzen Poesie gelaufen, den er
irgendwo im Gedränge an sich gerissen hat. Der eine sieht grün,
der andere sieht gelb - Farben sehen sie alle.
Schließlich ist und war alles Verquickung des Geistigen
mit dem Informatorischen, dieses Element des Journalismus, dieser Vorwand
seiner Pläne, diese Ausrede seiner Gefahren, durch und durch heineisch
- möge sie auch jetzt dank den neueren Franzosen und der freundlichen
Vermittlung des Herrn Bahr ein wenig psychologisch gewendet und mit noch
etwas mehr >>Nachdenklichkeit<< staffiert sein. Nur einmal trat in
diese Entwicklung eine Pause - die hieß Ludwig Speidel. In ihm war
die Sprachkunst ein Gast auf den Schmieren des Geistes. Das Leben Speidels
mag die Presse als einen Zwischenfall empfinden, der störend in das
von Heine begonnene Spiel trat. Schien er es doch mit dem leibhaftigen
Sprachgeist zu halten und lud ihn an Feiertagen auf die Stätte der
schmutzigsten Unterhaltung, damit er sehe, wie sie’s treiben. Nie war ein
Kollege bedenklicher als dieser. Wohl konnte man mit dem Lebenden Parade
machen. Aber wie lange wehrte man sich, dem Toten die Ehre des Buches zu
geben! Wie fühlte man, hier könnte eine Gesamtausgabe jene Demütigung
bringen, die man einst eßlöffelweise als Stolz einnahm. Als
man sich endlich entschloß, den >>Mitarbeiter<< in die Literatur
zu lassen, erdreistete sich Herr Schmock, die Begleitung zu übernehmen,
und die Hand des Herausgebers, verniedlichend und verstofflichend, rettete
für den Wiener Standpunkt, was durch eine Gruppierung Speidelscher
Prosa um den Wiener Standpunkt zu retten war. Ein Künstler hat diese
Feuilletons geschrieben, ein Feuilletonist hat diese Kunstwerke gesammelt
- so wird die Distanz von Geist und Presse doppelt fühlbar werden.
Die Journalisten hatten recht, so lange zu zögern. Sie waren in all
der Zeit nicht müßig. Man verlangte nach Speidels Büchern
- sie beriefen sich auf seine Bescheidenheit und gaben uns ihre eigenen
Bücher. Denn es ist das böse Zeichen dieser Krise des Journalismus,
der die Geister in seinen Stall treibt, erobert indessen ihre Weide. Er
hat die Literatur ausgeraubt - er ist nobel und schenkt ihr seine Literatur.
Es erscheinen Feuilletonsammlungen, an denen man nichts so sehr bestaunt,
als daß dem Buchbinder die Arbeit nicht in der Hand zerfallen ist.
Brot wird aus Brosamen gebacken. Was ist es, das ihnen Hoffnung auf die
Fortdauer macht? Das fortwährende Interesse an dem Stoff, den sie
>>sich wählen<<. Wenn einer über die Ewigkeit plaudert,
sollte er da nicht gehört werden, solange die Ewigkeit dauert? Von
diesem Trugschluß lebe der Journalismus. Er hat immer die größten
Themen und unter seinen Händen kann die Ewigkeit aktuell werden; aber
sie muß ihn auch ebenso leicht wieder veralten. Der Künstler
gestaltet den Tag, die Stunde, die Minute. Sein Anlaß mag zeitlich
und lokal noch so begrenzt und bedingt sein, sein Werk wächst umso
grenzenloser und freier, je weiter es dem Anlaß entrückt wird.
Es veralte getrost im Augenblick; es verjüngt sich in Jahrzehnten.
Was vom Stoff lebt, stirbt vor dem Stoffe. Was in der Sprache lebt, lebt
mit der Sprache. Wie leicht lasen wir das Geplauder am Sonntag, und nun,
da wirs aus der Leihbibliothek beziehen können, vermögen wir
uns kaum durchzuwinden. Wie schwer lasen wir die Sätze der >Fackel<,
selbst wenn uns das Ereignis half, an das sie knüpften. Nein, weil
es uns half! Je weiter wir davon entfernt sind, desto verständlicher
wird uns, was uns davon gesagt war. Wie geschieht das? Der Fall war nah
und die Perspektive war weit. Es war alles vorausgeschrieben. Es war verschleiert,
damit ihm der neugierige Tag nichts anhabe. Nun heben sich die Schleier...
Heinrich Heine aber - von ihm wissen selbst die Ästheten,
die seine Unsterblichkeit in einen Inselverlag retten (die zweckerhabenen
Geister, deren Hirnwindungen im Ornament verlaufen), nichts Größeres
auszusagen, als daß seine Pariser Berichte >>die noch immer lebendige
Großtat des modernen Journalismus geworden sind<<; und diese
Robinsone der literarischen Zurückgezogenheit berufen sich auf Heines
Künstlerwort, daß seine Artikel >>für die Bildung des Stils
für populäre Themata sehr förderlich sein würden<<.
Und wieder spürt man die Verbindung derer, die gleich weit vom Geiste
wohnen die in der Form und die im Stoffe leben; die in der Linie und die
in der Fläche denken; der Ästheten und der Journalisten. Im Problem
Heine stoßen sie zusammen. Von Heine leben sie fort und er in ihnen.
So ist es längst nicht dringlich, von seinem Werke zu sprechen. Aber
immer dringlicher wird die Rede von seiner Wirkung, und daß sein
Werk nicht tragfähig ist unter seiner Wirkung, die das deutsche Geistesleben
nach und nach als unerträglich von sich abtun wird. So wird es sich
abspielen: Jeder Nachkomme Heines nimmt aus dem Mosaik dieses Werks ein
Steinchen, bis keines mehr übrig bleibt. Das Original verblaßt,
weil uns die widerliche Grelle der Kopie die Augen öffnet. Hier ist
ein Original, dem verloren geht, was es an andere hergab. Und ist denn
ein Original eines, dessen Nachahmer besser sind? Freilich, um eine Erfindung
zu würdigen, die sich zu einer modernen Maschine vervollkommnet hat,
muß man die historische Gerechtigkeit anwenden. Aber wenn man absolut
wertet, sollte man da nicht zugeben, daß die Prosa Heinrich Heines
von den beobachterisch gestimmten Technikern, den flotten Burschen und
den Grazieschwindlern übertroffen wurde? Daß diese Prosa, welche
Witz ohne Anschauung und Ansicht ohne Witz bedeutet, ganz gewiß von
jenen Feuilletonisten übertroffen wurde, die nicht nur Heine gelesen,
sondern sich extra noch die Mühe genommen haben, an die Quelle der
Quelle, nach Paris zu gehen? Und daß seiner Lyrik, im Gefühl
und in der korrespondierenden Hohnfalte, Nachahmer entstanden sind, die's
mindestens gleich gut treffen und die zumal den kleinen Witz der kleinen
Melancholie, dem der ausgeleierte Vers so flink auf die Füße
hilft, mindestens ebenso geschickt praktizieren. Weil sich ja nichts so
leicht mit allem Komfort der Neuzeit ausstatten läßt wie eine
lyrische Einrichtung. Sicherlich, keiner dürfte sich im Ausmaß
der Übung und im Umfang intellektueller Interessen mit Heine vergleichen.
Wohl aber überbietet ihn heute jeder Itzig Witzig in der Fertigkeit,
ästhetisch auf Teetisch zu sagen und eine kandierte Gedankenhülse
durch Reim und Rhythmus zum Knallbonbon zu machen.
Heinrich Heine, der Dichter, lebt nur als eine konservierte
Jugendliebe. Keine ist revisionsbedürftiger als diese. Die Jugend
nimmt alles auf und nachher ist es grausam, ihr vieles wieder abzunehmen.
Wie leicht empfängt die Seele der Jugend, wie leicht verknüpft
sie das Leichte und Lose: wie wertlos muß eine Sache sein, damit
ihr Eindruck nicht wertvoll werde durch Zeit und Umstand, da er erworben!
Man ist nicht kritisch, sondern pietätvoll, wenn man Heine liebt.
Man ist nicht kritisch, sondern pietätlos, wenn man dem mit Heine
Erwachsenen seinen Heine ausreden will. Ein Angriff auf Heine ist ein Eingriff
in jedermanns Privatleben. Er verletzt die Pietät vor der Jugend,
den Respekt vor dem Knabenalter, die Ehrfurcht vor der Kindheit. Die erstgebornen
Eindrücke nach ihrer Würdigkeit messen wollen, ist mehr als vermessen.
Und Heine hatte das Talent, von den jungen Seelen empfangen und darum mit
den jungen Erlebnissen assoziiert zu werden. Wie die Melodie eines Leierkastens,
die ich mir nicht verwehren ließe, über die Neunte Symphonie
zu stellen, wenns ein subjektives Bedürfnis verlangt. Und darum brauchen
es sich die erwachsenen Leute nicht bieten zu lassen, daß man ihnen
bestreiten will, der Lyriker Heine sei größer als der Lyriker
Goethe. Ja, von dem Glück der Assoziation lebt Heinrich Heine. Bin
ich so unerbittlich objektiv, einem zu sagen: sieh nach, der Pfirsichbaum
im Garten deiner Kindheit ist heute schon viel kleiner, als er damals war?
Man hatte die Masern, man hatte Heine, und man wird heiß in der Erinnerung
an jedes Fieber der Jugend. Hier schweige die Kritik. Kein Autor hat die
Revision so notwendig wie Heine, keiner verträgt sie so schlecht,
keiner wird so sehr von allen holden Einbildungen gegen sie geschützt,
wie Heine. Aber ich habe nur den Mut, sie zu empfehlen, weil ich sie selbst
kaum notwendig hatte, weil ich Heine nicht erlebt habe in der Zeit, da
ich ihn hätte überschätzen müssen. So kommt der Tag,
wo es mich nichts angeht, daß ein Herr, der längst Bankier geworden
ist, einst unter den Klängen von >>Du hast Diamanten und Perlen<<
zu seiner Liebe schlich. Und wo man rücksichtslos wird, wenn der Reiz,
mit dem diese tränenvolle Stofflichkeit es jungen Herzen angetan hat,
auf alte Hirne fortwirkt und der Sirup sentimentaler Stimmungen an literarischen
Urteilen klebt. Schließlich hätte man der verlangenden Jugend
auch mit Herrn Hugo Salus dienen können. Ich weiß mich nicht
frei von der Schuld, der Erscheinung das Verdienst der Situation zu geben,
in der ich sie empfand, oder sie mit der begleitenden Stimmung zu verwechseln.
So bleibt mir ein Abglanz auf Heines Berliner Briefen, weil mir die Melodie
>>Wir winden dir den Jungfernkranz<<, über die sich Heine dort
lustig macht, sympathisch ist. Aber nur in den Nerven. Im Urteil bin ich
mündig und willig, die Verdienste zu unterscheiden. Die Erinnerung
eines Gartendufts, als die erste Geliebte vorüberging, darf einer
nur dann für eine gemeinsame Angelegenheit der Kultur halten, wenn
er ein Dichter ist. Den Anlaß überschätze man getrost,
wenn man imstande ist, ein Gedicht daraus zu machen.
Als ich einst in einer Praterbude ein trikotiertes Frauenzimmer
in der Luft schweben sah, was, wie ich heute weiß, durch eine Spiegelung
erzeugt wurde, und ein Leierkasten spielte dazu die >>Letzte Rose<<,
da ging mir das Auge der Schönheit auf und das Ohr der Musik, und
ich hätte den zerfleischt, der mir gesagt hätte, das Frauenzimmer
wälze sich auf einem Brett herum und die Musik sei von Flotow. Aber
in der Kritik muß man, wenn man nicht zu Kindern spricht, den Heine
beim wahren Namen nennen dürfen. Sein Reiz, sagen seine erwachsenen
Verteidiger, sei ein musikalischer. Darauf sage ich: Wer Literatur empfindet,
muß Musik nicht empfinden oder ihm kann in der Musik die Melodie,
der Rhythmus als Stimmungsreiz genügen. Wenn ich literarisch arbeite,
brauche ich keine Stimmung, sondern die Stimmung entsteht mir aus der Arbeit.
Zum Anfeuchten dient mir ein Klang aus einem Miniaturspinett, das eigentlich
ein Zigarrenbehälter ist und ein paar seit hundert Jahren eingeschlossene
altwiener Töne von sich gibt, wenn man daraufdrückt. Ich bin
nicht musikalisch; Wagner würde mich in dieser Lage stören. Und
suchte ich denselben kitschigen Reiz der Melodie in der Literatur, ich
könnte in solcher Nacht keine Literatur schaffen. Heines Musik mag
dafür den Musikern genügen, die von ihrer eigenen Kunst bedeutendere
Aufschlüsse verlangen, als sie das bißchen Wohlklang gewährt.
Was ist denn Lyrik im Heineschen Stil, was ist jener deutsche Kunstgeschmack,
in dessen Sinnigkeiten und Witzigkeiten die wilde Jagd Liliencronscher
Sprache einbrach, wie einst des Neutöners Gottfried August Bürger?
Heines Lyrik: das ist Stimmung oder Meinung mit dem Hört, hört!
klingelnder Schellen. Diese Lyrik ist Melodie, so sehr, daß sie es
notwendig hat, in Musik gesetzt zu werden. Und dieser Musik dankt sie mehr
als der eignen ihr Glück beim Philister: Der >Simplicissimus< spottete
einmal über die deutschen Sippen, die sich vor Heine bekreuzigen,
um hinterdrein in seliger Gemütsbesoffenheit >>doch<< die Lorelei
zu singen. Zwei Bilder: aber der Kontrast ist nicht so auffallend, als
man bei flüchtiger Betrachtung glaubt. Denn die Philistersippe, die
schimpft, erhebt sich erst im zweiten Bilde zum wahren Philisterbekenntnis,
da sie singt. Ist es Einsicht in den lyrischen Wert eines Gedichtes, was
den Gassenhauer, den einer dazu komponiert hat, populär werden läßt?
Wie viele deutsche Philister wüßten denn, was Heine bedeuten
soll, wenn nicht Herr Silcher >>Ich weiß nicht, was soll es bedeuten<<
in Musik gesetzt hätte? Aber wäre es ein Beweis für den
Lyriker, daß diese Kundschaft seine unschwere Poesie auch dann begehrt
hätte, wenn sie ihr nicht auf Flügeln des Gesanges wäre
zugestellt worden? Ach, dieser engstirnige Heinehaß, der den Juden
meint, läßt den Dichter gelten und blökt bei einer sentimentalen
Melodei wohl auch ohne die Nachhilfe des Musikanten. Kunst bringt das Leben
in Unordnung. Die Dichter der Menschheit stellen immer wieder das Chaos
her; die Dichter der Gesellschaft singen und klagen, segnen und fluchen
innerhalb der Weltordnung. Alle, denen ein Gedicht ihre im Reim beschlossene
Übereinstimmung mit dem Dichter bedeutet, flüchten zu Heine.
Wer den Lyriker auf der Suche nach weitläufigen Allegorien und beim
Anknüpfen von Beziehungen zur Außenwelt zu betreten wünscht,
wird Heine für den größeren Lyriker halten als Goethe.
Wer aber das Gedicht als Offenbarung des im Anschauen der Natur versunkenen
Dichters und nicht der im Anschauen des Dichters versunkenen Natur begreift,
wird sich bescheiden, ihn als lust- und leidgeübten Techniker, als
prompten Bekleider vorhandener Stimmungen zu schätzen. Wie über
allen Gipfeln Ruh’ ist, teilt sich Goethe, teilt er uns in so groß
empfundener Nähe mit, daß die Stille sich als eine Ahnung hören
läßt. Wenn aber ein Fichtenbaum im Norden auf kahler Höh’
steht und von einer Palme im Morgenland träumt, so ist das eine besondere
Artigkeit der Natur, die der Sehnsucht Heines allegorisch entgegenkommt.
Wer je eine so kunstvolle Attrappe im Schaufenster eines Konditors oder
eines Feuilletonisten gesehen hat, mag in Stimmung geraten, wenn er selbst
ein Künstler ist. Aber ist ihr Erzeuger darum einer? Selbst die bloße
Plastik einer Naturanschauung, von der sich zur Seele kaum sichtbare Fäden
spinnen, scheint mir, weil sie das Einfühlen voraussetzt, lyrischer
zu sein, als das Einkleiden fertiger Stimmungen. In diesem Sinne ist Goethes
>>Meeresstill<< Lyrik, sind es Liliencrons Zeilen >>Ein Wasser schwatzt
sich selig durchs Gelände, ein reifer Roggenstrich schließt
ab nach Süd, da stützt Natur die Stirne in die Hände und
ruht sich aus, von ihrer Arbeit müd’<<. Der nachdenkenden Heidelandschaft
im Sommermittag entsprießen tiefere Stimmungen als jene sind, denen
nachdenkliche Palmen und Fichtenbäume entsprossen; denn dort hält
Natur die Stirne in die Hände, aber hier Heinrich Heine die Hand an
die Wange gedrückt... Man schämt sich, daß zwischen Herz
und Schmerz je ein so glatter Verkehr bestand, den man Lyrik nannte; man
schämt sich fast der Polemik. Aber man mache den Versuch, im aufgeschlagenen
>>Buch der Lieder<< die rechte und die linke Seite durcheinander
zu lesen und Verse auszutauschen. Man wird nicht enttäuscht sein,
wenn man von Heine nicht enttäuscht ist. Und die es schon sind, werden
es erst recht nicht sein. >>Es zwitscherten die Vögelein - viel' muntere
Liebesmelodein.<< Das kann rechts und links stehen. Auf meiner Herzliebsten
Äugelein<< das muß sich nicht allein auf >>meiner Herzliebsten
Mündlein klein<< reimen, und die >>blauen Veilchen der Äugelein<<
wieder nicht allein auf die >>roten Rosen der Wängelein<<, überall
könnte die Bitte stehen >>Lieb Liebchen, leg's Händchen aufs
Herze mein<<, und nirgend würde in diesem Kämmerlein der
Poesie die Verwechslung von mein und dein störend empfunden werden.
Dagegen ließe sich etwa die ganze Lorelei von Heine nicht mit dem
Fischer von Goethe vertauschen, wiewohl der Unterschied scheinbar nur der
ist, daß die Lorelei von oben auf den Schiffer, das feuchte Weib
aber von unten auf den Fischer einwirkt. Wahrlich, der Heinesche Vers ist
Operettenlyrik, die auch gute Musik vertrüge. Im Buch der Lieder könnten
die Verse von Meilhac und Halévy stehen:
Ich bin
dein
Du bist
mein
Welches
Glück ist uns beschieden
Nein, es
gibt
So verliebt
Wohl kein
zweites Paar hienieden.
Es ist durchaus jene Seichtheit, die in Verbindung mit
Offenbachscher Musik echte Stimmungswerte schafft oder tiefere satirische
Bedeutung annimmt. Offenbach ist Musik, aber Heine ist bloß der Text
dazu. Und ich glaube nicht, daß ein echter Lyriker die Verse geschrieben
hat:
Und als
ich euch meine Schmerzen geklagt,
Da habt
ihr gegähnt und nichts gesagt;
Doch als
ich sie zierlich in Verse gebracht,
Da habt
ihr mir große Elogen gemacht.
Aber es ist ein Epigramm; und die Massenwirkung Heine’scher
Liebeslyrik, in der die kleinen Lieder nicht der naturnotwendige Ausdruck,
sondern das Ornament der großen Schmerzen sind, ist damit treffend
bezeichnet. Jene Massenwirkung, durch die der Lyriker Heine sich belohnt
fühlt. Es ist ein Lyriker, der in einer Vorrede schreibt, sein Verleger
habe durch die großen Auflagen, die er von seinen Werken zu machen
pflege, dem Genius des Verfassers das ehrenvollste Vertrauen geschenkt,
und der stolz auf die Geschäftsbücher verweist, in denen die
Beliebtheit dieser Lyrik eingetragen stehe. Dieser Stolz ist so wenig verwunderlich
wie diese Beliebtheit. Wie vermöchte sich eine lyrische Schöpfung,
in der die Idee nicht kristallisiert, aber verzuckert wird, der so allgemeinen
Zufriedenheit zu entziehen? Nie, bis etwa zur Sterbenslyrik, hat sich eine
schöpferische Notwendigkeit in Heine zu diesen Versen geformt, daß
es Verse werden mußten; und diese Reime sind Papilloten, nicht Schmetterlinge:
Papierkrausen, oft nur eben gewickelt, um einen Wickel vorzustellen. >>Das
hätte ich alles sehr gut in guter Prosa sagen können<<,
staunt Heine, nachdem er eine Vorrede versifiziert hat, und fährt
fort: >>Wenn man aber die alten Gedichte wieder durchliest, um ihnen, behufs
eines erneuerten Abdrucks, einige Nachfeile zu erteilen, dann überrascht
einen unversehens die klingelnde Gewohnheit des Reims und Silbenfalls...<<
Es ist in der Tat nichts anderes als ein skandierter Journalismus, der
den Leser über seine Stimmungen auf dem Laufenden hält. Heine
informiert immer und überdeutlich. Manchmal sagt ers durch die blaue
Blume, die nicht auf seinem Beet gewachsen ist, manchmal direkt. Wäre
das sachliche Gedicht >>Die heiligen drei Könige<< von einem
Dichter, es wäre ein Gedicht. >>Das Öchslein brüllte, das
Kindlein schrie, die heil'gen drei Könige sangen.<< Das wäre
die Stimmung der Sachlichkeit. So ist es doch wohl nur ein Bericht. Ganz
klar wird das an einer Stelle des Vitzliputzli:
Hundertsechzig Spanier fanden
Ihren Tod an jenem Tage;
Über achtzig fielen lebend
In die Hände der Indianer
Schwer verwundet
wurden viele,
Die erst
später unterlagen.
Schier
ein Dutzend Pferde wurde
Teils getötet,
teils erbeutet.
Einer indianischen Lokalkorrespondenz zufolge. Und wie
die Sachlichkeit, so das Gefühl, so die Ironie nichts unmittelbar,
alles handgreiflich, aus jener zweiten Hand, die unmittelbar nur den Stoff
begreift. Im Gestreichel der Stimmung, im Gekitzel des Witzes.
Die Tore jedoch, die ließen
Mein Liebchen entwischen gar still;
Ein Tor ist immer willig,
Wenn eine Törin will.
Diesen Witz macht kein wahrer Zyniker, dem seine Geliebte
echappiert ist. Und kein Dichter ruft einem Fräulein, das den Sonnenuntergang
gerührt betrachtet, die Worte zu:
Mein Fräulein, sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter,
Und kehrt von hinten zurück.
Nicht aus Respekt vor dem Fräulein, aber aus Respekt
vor dem Sonnenuntergang. Der Zynismus Heines steht auf dem Niveau der Sentimentalität
des Fräuleins. Und der eigenen Sentimentalität. Und wenn er gerührt
von sich sagt: >>dort wob ich meine zarten Reime aus Veilchenduft und Mondenschein<<,
dann darf man wohl so zynisch sein wie er und ihn - Herr Heine, sein Sie
munter - fragen, ob er nicht vielleicht schreiben wollte: dort wob ich
meine zarten Reime für Veilchenduft und Mondenschein, und ob dies
nicht eben jene Verlagsfirma ist, auf deren Geschäftsbücher er
sich soeben berufen hat. Lyrik und Satire - das Phänomen ihres Verbundenseins
wird faßlich - sie sind beide nicht da; sie treffen sich in der Fläche,
nicht in der Tiefe. Diese Träne hat kein Salz, und dieses Salz salzt
nicht. Wenn Heine, wie sagt man nur, >>die Stimmung durch einen Witz zerreißt<<,
so habe ich den Eindruck, er wolle dem bunten Vogel Salz auf den Schwanz
streuen; ein altes Experiment: der Vogel entflattert doch. Im Fall Heine
glückt die Illusion, wenn schon nicht das Experiment. Man kann ihm
das Gegenteil beweisen; ihm, aber nicht den gläubigen Zuschauern.
Er wurde nicht nur als der frühe Begleiter von Allerwelts lyrischen
Erlebnissen durchs Leben mitgenommen, sondern immer auch dank seiner Intellektualität
von der Jugendeselei an die Aufklärung weitergegeben. Und über
alles wollen sie aufgeklärt sein, nur nicht über Heine, und wenn
sie schon aus seinen Träumen erwachen, bleibt ihnen noch sein Witz.
Dieser Witz aber, in Vers und Prosa, ist ein asthmatischer
Köter. Heine ist nicht imstande, seinen Humor auf die Höhe eines
Pathos zu treiben und von dort hinunter zu jagen. Er präsentiert ihn,
aber er kann ihm keinen Sprung zumuten. Wartet nur! ist der Titel eines
Gedichtes:
Weil ich so ganz vorzüglich blitze,
Glaubt ihr, daß ich nicht donnern könnt’!
Ihr irrt euch sehr, denn ich besitze
Gleichfalls fürs Donnern ein Talent.
Es wird sich grausenhaft bewähren,
Wenn einst erscheint der rechte Tag;
Dann sollt ihr meine Stimme hören,
Das Donnerwort, den Wetterschlag.
Gar manche Eiche wird zersplittern
An jenem Tag der wilde Sturm,
Gar mancher Palast wird erzittern
Und stürzen mancher Kirchenturm!
Das sind leere Versprechungen. Und wie sagt doch Heine von
Platen?
Eine große Tat in Worten,
Die du einst zu tun gedenkst! -
O, ich kenne solche Sorten
Geist’ger Schuldenmacher längst.
Hier ist Rhodus, komm und zeige
Deine Kunst, hier wird getanzt!
Oder trolle dich und schweige,
Wenn du heut nicht tanzen kannst.
>>Gleichfalls fürs Donnern ein Talent haben<<
- das sieht ja dem Journalismus ähnlich. Aber von Donner kein Ton
und vom Blitz nur ein Blitzen. Nur Einfälle, nur das Wetterleuchten
von Gedanken, die irgendwo niedergegangen sind oder irgendwann niedergehen
werden. Denn wie eigene Gedanken nicht immer neu sein müssen, so kann,
wer einen neuen Gedanken hat, ihn leicht von einem andern haben. Das bleibt
für alle paradox, nur für jenen nicht, der von der Präformiertheit
der Gedanken überzeugt ist, und davon, daß der schöpferische
Mensch nur ein erwähltes Gefäß ist, und davon, daß
die Gedanken und die Gedichte da waren vor den Dichtern und Denkern. Er
glaubt an den metaphysischen Weg des Gedankens, der ein Miasma ist, während
die Meinung kontagiös ist, also unmittelbarer Ansteckung braucht,
um übernommen, um verbreitet zu werden. Darum mag ein schöpferischer
Kopf auch das aus eigenem sagen, was ein anderer vor ihm gesagt hat, und
der andere ahmt Gedanken nach, die einem schöpferischen Kopf erst
später einfallen werden. Und nur in der Wonne sprachlicher Zeugung
wird aus dem Chaos eine Welt. Die leiseste Belichtung oder Beschattung,
Tönung und Färbung eines Gedankens, nur solche Arbeit ist wahrhaft
unverloren, so pedantisch, lächerlich und sinnlos sie für die
unmittelbare Wirkung auch sein mag, kommt irgendwann der Allgemeinheit
zugute und bringt ihr zuletzt jene Meinungen als verdiente Ernte ein, die
sie heut mit frevler Gier auf dem Halm verkauft. Alles Geschaffene bleibt,
wie es da war, eh es geschaffen wurde. Der Künstler holt es als ein
Fertiges vom Himmel herunter. Die Ewigkeit ist ohne Anfang. Lyrik oder
ein Witz die Schöpfung liegt zwischen dem Selbstverständlichen
und dem Endgültigen. Es werde immer wieder Licht. Es war schon da
und sammle sich wieder aus der Farbenreihe. Wissenschaft ist Spektralanalyse:
Kunst ist Lichtsynthese. Der Gedanke ist in der Welt, aber man hat ihn
nicht. Er ist durch das Prisma stofflichen Erlebens in Sprachelemente zerstreut,
der Künstler schließt sie zum Gedanken. Der Gedanke ist ein
Gefundenes, ein Wiedergefundenes. Und wer ihn sucht, ist ein ehrlicher
Finder, ihm gehört er, auch wenn ihn vor ihm schon ein anderer gefunden
hätte.
So und nur so hat Heine von Nietzsche den Nazarenertypus
antizipiert. Wie weitab ihm die Welt Eros und Christentum lag, welche doch
in dem Gedicht >>Psyche<< mit so hübscher Zufälligkeit
sich meldet, zeigt er in jedem Wort seiner Platen-Polemik. Heine hat in
den Verwandlungen des Eros nur das Ziel, nicht den Weg des Erlebnisses
gesehen, er hat sie ethisch und ästhetisch unter eine Norm gestellt,
und hier, wo wir an der Grenze des erweislich Wahren und des erweislich
Törichten angelangt sind, hat er vielmehr den seligen Herrn Maximilian
Harden antizipiert. In dieser berühmten Platen-Polemik, die allein
dem stofflichen Interesse an den beteiligten Personen und dem noch stofflicheren
Vergnügen an der angegriffenen Partie ihren Ruhm verdankt und die
Heines Ruhm hätte auslöschen müssen, wenn es in Deutschland
ein Gefühl für wahre polemische Kraft gäbe und nicht bloß
für das Gehechel der Bosheit, in dieser Schrift formt Heine sein erotisches
Bekenntnis zu denWorten:
Der eine ißt gern Zwiebeln, der andere hat mehr
Gefühl für warme Freundschaft, und ich als ehrlicher Mann muß
aufrichtig gestehen, ich esse gern Zwiebeln, und eine schiefe Köchin
ist mir lieber, als der schönste Schönheitsfreund.
Das ist nicht fein, aber auch nicht tief. Er hatte wohl
keine Ahnung von den Varietäten der Geschlechtsliebe, die sich am
Widerspiel noch bestätigt, und spannte diese weite Welt in das grobe
Schema Mann und Weib, normal und anormal. Noch im Sterben ist ihm ja die
Vorstellung von der Kuhmagd, die >>mit dicken Lippen küßt und
beträchtlich riecht nach Mist<<, geläufig, wiewohl sie
dort nur eine bessere Wärme als der Ruhm geben soll und nicht die
warme Freundschaft. Wer so die Seele kennt, ist ein Feuilletonist! Feuilletonistisch
ist Heines Polemik durch die Unverbundenheit, mit der Meinung und Witz
nebeneinander laufen. Die Gesinnung kann nicht weiter greifen als der Humor.
Wer über das Geschlechtsleben seines Gegners spottet, kann nicht zu
polemischer Kraft sich erheben. Und wer die Armut seines Gegners verhöhnt,
kann keinen bessern Witz machen, als den: der Ödipus von Platen wäre
>>nicht so bissig geworden, wenn der Verfasser mehr zu beißen gehabt
hätte<<. Schlechte Gesinnung kann nur schlechte Witze machen.
Der Wortwitz, der die Kontrastwelten auf die kleinste Fläche drängt
und darum der wertvollste sein kann, muß bei Heine ähnlich wie
bei dem traurigen Saphir zum losen Kalauer werden, weil kein sittlicher
Fonds die Deckung übernimmt. Ich glaube, er bringt das üble Wort,
einer leide an der >>Melancholik<<, zweimal. Solche Prägungen
-wie etwa auch die Zitierung von Platens >>Saunetten<< und die Versicherung,
daß er mit Rothschild >>famillionär<< verkehrt habe -
läßt er dann freilich den Hirsch Hyacinth verantworten. Und
dieser Polemiker spricht von seiner guten protestantischen Hausaxt! Eine
Axt, die einen Satz nicht beschneiden kann! Seiner Schrift gegen Börne
geben die wörtlichen Zitate aus Börne das Rückgrat, aber
wenn er darin Börne sprechend vorführt, spürt man ganz genau,
wo Heine über Börne hinaus zu schwätzen beginnt. Er tuts
in der breitspurigen Porzellangeschichte. Auf Schritt und Tritt möchte
man redigieren, verkürzen, vertiefen. Einen Satz wie diesen: >>Nächst
dem Durchzug der Polen, habe ich die Vorgänge in Rheinbayern als den
nächsten Hebel bezeichnet, welcher nach der Juliusrevolution die Aufregung
in Deutschland bewirkte, und auch auf unsere Landsleute in Paris den größten
Einfluß ausübte<<, hätte ich nicht durchgehen lassen.
Die Teile ohne Fassung, das Ganze ohne Komposition, jener kurze Atem, der
in einem Absatz absetzen muß, als müßte er immer wieder
sagen: so, und jetzt sprechen wir von etwas anderm. Wäre Heine zum
Aphorismus fähig gewesen, zu dem ja der längste Atem gehört,
er hätte auch hundert Seiten Polemik durchhalten können. Von
Börne, der in dieser Schrift als sittlich und geistig negierte Person
den Angreifer überragt, sagt er: >>Alle seine Anfeindungen waren am
Ende nichts anderes, als der kleine Neid, den der kleine Tambour-Maître
gegen den großen Tambour-Major empfindet - er beneidete mich ob des
großen Federbusches, der so keck in die Lüfte hineinjauchzt,
ob meiner reichgestickten Uniform, woran mehr Silber, als er, der kleine
Tambour-Maitre, mit seinem ganzen Vermögen bezahlen konnte, ob der
Geschicklichkeit, womit ich den großen Stock balanciere usw.<<
Die Geschicklichkeit ist unleugbar, und der Tambour-Major stimmt auch.
In Börnes Haushalt sieht Heine >>eine Immoralität, die ihn anwidert<<,
>>das ganze Reinlichkeitsgefühl seiner Seele<< sträubt
sich in ihm >>bei dem Gedanken, mit Börnes nächster Umgebung
in die mindeste Berührung zu geraten<<. Er weiß die längste
Zeit auch nicht, ob Madame Wohl nicht die Geliebte Börnes ist >>oder
bloß seine Gattin<<. Dieser ganz gute Witz ist bezeichnend
für die Wurzellosigkeit des Heineschen Witzes, denn er deckt sich
mit dem Gegenteil der Heineschen Auffassung von der Geschlechtsmoral. Heine
hätte sich schlicht bürgerlich dafür interessieren müssen,
ob Madame Wohl die Gattin Börnes oder bloß seine Geliebte sei.
Er legt ja noch im Sterbebett Wert auf die Feststellung, er habe nie ein
Weib berühret, wußt’ er, daß sie vermählet sei. Aber
in dieser Schrift sind auch andere peinliche Widersprüche. So wird
Jean Paul der >>konfuse Polyhistor von Bayreuth<< genannt, und von
Heine heißt es, er habe sich >>in der Literatur Europas Monumente
aufgepflanzt, zum ewigen Ruhme des deutschen Geistes<< ... Der deutsche
Geist aber möchte vor allem das nackte Leben retten; und er wird erst
wieder hochkommen, wenn sich in Deutschland die intellektuelle Schmutzflut
verlaufen haben wird. Wenn man wieder das Kopfwerk sprachschöpferischer
Männlichkeit erfassen und von dem erlernbaren Handwerk der Sprachzärtlichkeiten
unterscheiden wird. Und ob dann von Heine mehr bleibt als sein Tod?
Die Lyrik seines Sterbens, Teile des Romanzero, die Lamentationen,
der Lazarus hier war wohl der beste Helfer am Werke, um die Form Heines
zur Gestalt zu steigern. Heine hat das Erlebnis des Sterbens gebraucht,
um ein Dichter zu sein. Es war ein Diktat: sing, Vogel, oder stirb. Der
Tod ist ein noch besserer Helfer als Paris; der Tod in Paris, Schmerzen
und Heimatsucht, die bringen schon ein Echtes fertig.
Ich hör’ den Hufschlag, hör’ den Trab,
Der dunkle Reiter holt mich ab -
Er reißt mich fort, Mathilden soll ich lassen,
O, den Gedanken kann mein Herz nicht fassen!
Das ist andere Lyrik, als jene, deren Erfolg in den Geschäftsbüchern
ausgewiesen steht. Denn Heines Wirkung ist das Buch der Lieder und nicht
der Romanzero, und will man seine Früchte an ihm erkennen, so muß
man jenes aufschlagen und nicht diesen. Der Tod konzentriert, räumt
mit dem tändelnden Halbweltschmerz auf und gibt dem Zynismus etwas
Pathos. Heines Pointen, so oft nur der Mißklang unlyrischer Anschauung,
stellen hier selbst eine höhere Harmonie her. Sein Witz, im Erlöschen
verdichtet, findet kräftigere Zusammenfassungen; und Geschmacklosigkeiten
wie: >>Geh ins Kloster, liebes Kind, oder lasse dich rasieren<<,
werden seltener. Das überlieferte Mot >>dieu me pardonnera, c’est
son métier<< ist in seiner vielbewunderten Plattheit vielleicht
eine Erfindung jener, die den Heine-Stil komplett haben wollten. Aber es
paßt zum Ganzen nicht schlecht. Im Glauben und Unglauben wird Heine
die Handelsvorstellung nicht los. Selbst die Liebe spricht zum Gott der
Lieder, >>sie verlange Sicherheiten<<, und der Gott fragt, wieviel
Küsse sie ihm auf seine goldene Leier borgen wolle. Indes, der Zynismus
Heines, diese altbackene Pastete aus Witz und Weh, mundet dem deutschen
Geschmack recht wohl, wenn ers auch nicht wahr haben will. Zu Offenbach,
in dessen Orchester der tausendjährige Schmerz von der Lust einer
Ewigkeit umtanzt wird, verhält sich dieser Schmerzspötter wie
ein routinierter Asra zu einem geborenen Blaubart, einem vom Stamme jener,
welche töten, wenn sie lieben.
... Was will die einsame Träne? Was will ein Humor,
der unter Tränen lächelt, weil weder Kraft zum Weinen da ist
noch zum Lachen? Aber der >>Glanz der Sprache<< ist da und der hat
sich vererbt. Und unheimlich ist, wie wenige es merken, daß er von
der Gansleber kommt, und wie viele sich davon ihr Hausbrot vollgeschmiert
haben. Die Nasen sind verstopft, die Augen sind blind, aber die Ohren hören
jeden Gassenhauer. So hat sich dank Heine die Erfindung des Feuilletons
zur höchsten Vollkommenheit entwickelt. Mit Originalen läßt
sich nichts anfangen, aber Modelle können ausgebaut werden. Wenn die
Heine-Nachahmer fürchten mußten, daß man sie entlarven
könnte, so brauchten sie nur Heine-Fälscher zu werden und durften
getrost unter seinem Namen en gros produzieren. Sie nehmen in der Heine-Literatur
einen breiten Raum ein. Aber die Forscher, denen ihre Feststellung gelingt,
sind nicht sachverständig genug, um zu wissen, daß mit dem Dieb
auch der Eigentümer entlarvt ist. Er selbst war durch einen Dietrich
ins Haus gekommen und ließ die Tür offen. Er war seinen Nachfolgern
mit schlechtem Beispiel vorangegangen. Er lehrte sie den Trick. Und je
weiter das Geheimnis verbreitet wurde, umso köstlicher war es. Darum
verlangt die Pietät des Journalismus, daß heute in jeder Redaktion
mindestens eine Wanze aus Heines Matratzengruft gehalten wird. Das kriecht
am Sonntag platt durch die Spalten und stinkt uns die Kunst von der Nase
weg! Aber es amüsiert uns, so um das wahre Leben betrogen zu werden.
In Zeiten, die Zeit hatten, hatte man an der Kunst eins aufzulösen.
In einer Zeit, die Zeitungen hat, sind Stoff und Form zu rascherem Verständnis
getrennt. Weil wir keine Zeit haben, müssen uns die Autoren umständlich
sagen, was sich knapp gestalten ließe. So ist Heine wirklich der
Vorläufer moderner Nervensysteme, als der er von Künstlern gepriesen
wird, die nicht sehen, daß ihn die Philister besser vertragen haben,
als er die Philister. Denn der Heinehaß der Philister gibt nach,
wenn für sie der Lyriker in Betracht kommt, und für den Künstler
kommt Heines Philisterhaß in Betracht, um die Persönlichkeit
zu retten. So durch ein Mißverständnis immer aktuell, so rechtfertigt
er die schöne Bildung des Wortes >>Kosmopolit<<, in der sich
der Kosmos mit der Politik versöhnt hat. Detlev von Liliencron hatte
nur eine Landanschauung. Aber mir scheint, er war in Schleswig-Holstein
kosmischer als Heine im Weltall. Schließlich werden doch die, welche
nie aus ihrem Bezirk herauskamen, weiter kommen als die, die nie
in ihren Bezirk hineinkamen.
Was Nietzsche zu Heine gezogen hat - er hatte den Kleinheitswahn,
als er im Ecce homo schrieb, sein Name werde mit dem Heines durch die Jahrtausende
gehen-, kann nur jener Haß gegen Deutschland sein, der jeden Bundesgenossen
annimmt. Wenn man aber den Lazzaroni für ein Kulturideal neben dem
deutschen Schutzmann hält, so gibt es gewiß nichts Deutscheres
als solchen Idealismus, der die weglagernde Romantik schon fürs Ziel
nimmt. Das intellektuelle Problem Heine, der Regenerator deutscher Luft,
ist neben dem künstlerischen Problem Heine gewiß nicht zu übersehen:
es läuft ja daneben. Doch hier ward einmal Sauerstoff in die deutschen
Stuben gelassen und hat nach einer augenblicklichen Erholung die Luft verpestet.
Daß, wer nichts zu sagen hat, es besser verständlich sage, diese
Erkenntnis war die Erleichterung, die Deutschland seinem Heine dankt nach
jenen schweren Zeiten, wo etwas zu sagen hatte, wer unverständlich
war. Und diesen unleugbaren sozialen Fortschritt hat man der Kunst zugeschrieben,
da man in Deutschland immerzu der Meinung ist, daß die Sprache das
gemeinsame Ausdrucksmittel sei für Schreiber und Sprecher. Heines
aufklärende Leistung in Ehren - ein so großer Satiriker, daß
man ihm die Denkmalswürdigkeit absprechen müßte, war er
nicht. Ja, er war ein so kleiner Satiriker, daß die Dummheit seiner
Zeit auf die Nachwelt gekommen ist. Gewiß, sie setzt sich jenes Denkmal,
das sie ihm verweigert. Aber sie setzt sich wahrlich auch jenes, das sie
für ihn begehrt. Und wenn sie ihr Denknial nicht durchsetzt, so deponiert
sie wenigstens ihre Visitkarte am Heine-Grab und bestätigt sich ihre
Pietät in der Zeitung. Solange die Ballotage der Unsterblichkeit dauert,
dauert die Unsterblichkeit, und wenn ein Volk von Vereinsbrüdern ein
Problem hat, wird es so bald nicht fertig. Im Ausschuß der Kultur
aber sitzen die Karpeles und Bartels, und wie immer die Entscheidung falle,
sie beweist nichts für den Geist. Die niedrige Zeitläufigkeit
dieser Debatte, die immerwährende Aktualität antiquierter Standpunkte
ist so recht das Maß einer literarischen Erscheinung, an der nichts
ewig ist als der Typus, der von nirgendwo durch die Zeit läuft. Dieser
Typus, der die Mitwelt staunen macht, weil er auf ihrem Niveau mehr Talent
hat als sie, hat in der Kunst der Sprache, die jeder, der spricht, zu verstehen
glaubt, schmerzlichen Schaden gestiftet. Wir erkennen die Persönlichkeiten
nicht mehr, und die Persönlichkeiten beneiden die Techniker. Wenn
Nietzsche Heines Technik bewundert, so straft ihn jeder Satz, den er selbst
schrieb, Lügen. Nur einer nicht: >>Die Meisterschaft ist dann erreicht,
wenn man sich in der Ausführung weder vergreift noch zögert<<.
Das Gegenteil dieser untiefen Einsicht ist die Sache des Künstlers.
Seine Leistung sind Skrupel; er greift zu, aber er zaudert, nachdem er
zugegriffen hat. Heine war nur ein Draufgänger der Sprache; nie hat
er die Augen vor ihr niedergeschlagen. Er schreibt das Bekenntnis hin:
>>Der Grundsatz, daß man den Charakter eines Schriftstellers aus
seiner Schreibweise erkenne, ist nicht unbedingt richtig; er ist bloß
anwendbar bei jener Masse von Autoren, denen beim Schreiben nur die augenblickliche
Inspiration die Feder führt, und die mehr dem Worte gehorchen, als
befehlen. Bei Artisten ist jener Grundsatz unzulässig, denn diese
sind Meister des Wortes, handhaben es zu jedem beliebigen Zwecke, prägen
es nach Willkür, schreiben objektiv, und ihr Charakter verrät
sich nicht in ihrem Stil<<. So war er: ein Talent, weil kein Charakter;
bloß daß er die Artisten mit den Journalisten verwechselt hat.
Und die Masse von Autoren, die dem Wort gehorchen, gibt es leider nur spärlich.
Das sind die Künstler. Talent haben die andern: denn es ist ein Charakterdefekt.
Hier spricht Heine seine unbedingte Wahrheit aus; er braucht sie gegen
Börne. Aber da er objektiv schreibt und als Meister des Worts dieses
zu jedem beliebigen Zwecke handhabt, so paßt ihm das Gegenteil gegen
Platen. In ihm sei, >>ungleich dem wahren Dichter, die Sprache nie Meister
geworden<<; er sei >>dagegen Meister geworden in der Sprache, oder
vielmehr auf der Sprache, wie ein Virtuose auf einem Instrumente<<.
Heine ist objektiv. Gegen Börne: >>Die Taten der Schriftsteller bestehen
in Worten<<. Gegen Platen: er nenne seine Leistung >>eine große
Tat in Worten<< - >>so gänzlich unbekannt mit dem Wesen der
Poesie, wisse er nicht einmal, daß das Wort nur bei dem Rhetor eine
Tat, bei dem wahren Dichter aber ein Ereignis ist<<.
Was war es bei Heine? Nicht Tat und nicht Ereignis, sondern
Absicht oder Zufall. Heine war ein Moses, der mit dem Stab auf den Felsen
der deutschen Sprache schlug. Aber Geschwindigkeit ist keine Hexerei, das
Wasser floß nicht aus dem Felsen, sondern er hatte es mit der andern
Hand herangebracht; und es war Eau de Cologne. Heine hat aus dem Wunder
der sprachlichen Schöpfung einen Zauber gemacht. Er hat das höchste
geschaffen, was mit der Sprache zu schaffen ist; höher steht, was
aus der Sprache geschaffen wird. Er konnte hundert Seiten schreiben, aber
nicht die Sprache der hundert ungeschriebenen Seiten gestalten. Wenn nach
Iphigeniens Bitte um ein holdes Wort des Abschieds der König >>Lebt
wohl!<< sagt, so ist es, als ob zum erstenmal in der Welt Abschied
genommen würde, und solches >>Lebt wohl!<< wiegt das Buch der
Lieder auf und hundert Seiten von Heines Prosa. Das Geheimnis der Geburt
des alten Wortes war ihm fremd. Die Sprache war ihm zu Willen. Doch nie
brachte sie ihn zu schweigender Ekstase. Nie zwang ihn ihre Gnade auf die
Knie. Nie ging er ihr auf Pfaden nach, die des profanen Lesers Auge nicht
errät, und dorthin, wo die Liebe erst beginnt. O, markverzehrende
Wonne der Spracherlebnisse! Die Gefahr des Wortes ist die Lust des Gedankens.
Was bog dort um die Ecke? Noch nicht ersehen und schon geliebt! Ich stürze
mich in dieses Abenteuer.
Nachwort
zu Heine und die Folgen
Die tiefste Bestätigung dessen, was in dieser Schrift
gedacht und mit ihr getan ist, wurde ihr: sie fand keine Leser. Ein Gedrucktes,
das zugleich ein Geschriebenes ist, findet keine. Und mag es sich durch
alle äußeren Vorzüge den bequemen, noch in feindlicher
Betrachtung genehmen Stoff, ein gefälliges Format und selbst durch
den billigsten Preis empfehlen - das Publikum läßt sich nicht
täuschen, es hat die feinste Nase gegen die Kunst, und sicherer als
es den Kitsch zu finden weiß, geht es dem Wert aus dem Wege. Nur
der Roman, das Sprachwerk außer der Sprache, das in vollkommenster
Gestalt noch dem gemeinen Verstande irgend Halt und Hoffnung läßt,
nährt heute seinen Mann. Sonst haben vor dem Leser jene, die ihm mit
dem Gedanken im Wort bleiben, einen unendlich schweren Stand neben denen,
welche ihn mit dem Wort betrügen. Diesen glaubt er sofort, den andern
erst nach hundert Jahren. Und keine irdische Träne aus den Augen,
die das Leben vom Tod begraben sehen, verkürzt die Wartezeit. Nichts
hilft. Die Zeit muß erst verstinken, um jene, die das sind, was sie
können, so beliebt zu machen, wie diese da, welche können, was
sie nicht sind. Nur daß dieses Heute noch den besondern Fluch des
Zweifels trägt: ob der Kopf, der die Maschine überlebt, auch
ihre Folgen überstehen wird. Nie war der Weg von der Kunst zum Publikum
so weit; aber nie auch hat es ein so künstliches Mittelding gegeben,
eins, das sich von selbst schreibt und von selbst liest, so zwar, daß
sie alle schreiben und alle verstehen können und bloß der soziale
Zufall entscheidet, wer aus dieser gegen den Geist fortschreitenden Hunnenhorde
der Bildung jeweils als Schreiber oder als Leser hervorgeht. Die einzige
Fähigkeit, die sie als Erbteil der Natur in Ehren halten: von sich
zu geben, was sie gegessen haben, scheint ihnen auf geistigem Gebiet als
ein Trick willkommen, durch den es gelingen mag, zwei Verrichtungen in
einer Person zu vereinigen, und nur weil es noch einträglichere Geschäfte
gibt als das Schreiben, haben sich bisher so viele unter ihnen Zurückhaltung
auferlegt und begnügen sich damit, zu essen, was die andern von sich
gegeben haben. Wie derselbe Mensch sich in einer Stammtischrunde vervielfacht
hat, in der ein Cellist, ein Advokat, ein Philosoph, ein Pferdehändler
und ein Maler sitzen, durch den Geist verbunden und nur vom Kellner nach
den Fächern unterschieden: so ist zwischen Autor und Leser kein Unterschied.
Es gibt bloß noch Einen, und das ist der Feuilletonist. Die Kunst
weicht vor ihm zurück wie der Gletscher vor dem Bewohner des Alpenhotels.
Einst konnte man den, so rühmten die Führer, mit Händen
greifen. Wenn der Leser heute ein Werk mit Händen greifen kann, dann
muß das Werk eine üble Seite haben. Der Herausgeber dieser Zeitschrift
ist sich durchaus bewußt, daß sie ihr Ansehen großenteils
jener Empfänglichkeit verdankt, die sich etwa dem vorzüglichen
Romanautor nicht gleich darum entzieht, weil sie vom Hörensagen weiß,
daß er auch ein Künstler ist. Er darf sich die Nachsicht getrost
zunutze machen. Der Herausgeber der Fackel hat nicht selten das Gefühl,
daß er an jener schmarotzt. Sie würde ihm unwiderruflich verweigert,
wenn die Leser gar erführen, in welchem Stadium der Unzurechnungsfähigkeit
solch witzige Anläßlichkeiten entstehen, von welcher Kraft der
Selbstvernichtung diese Treffsicherheit lebt und wie viel Zentner Leid
eine leichte Feder tragen kann. Und wie düster das ist, was den Tagdieb
erheitert. Das Lachen, das an meinen Witz nicht heranreicht, würde
ihnen vergehen! Sähen sie, daß der kleine Stoff, der ihnen zu
Gesicht steht, nur ein schäbiger Rest ist von etwas, das sie nicht
betasten können, sie gingen endlich davon. Ich bin bei denen, die
sich einbilden, meine Opfer zu sein, nicht beliebt; aber bei den Schadenfrohen
noch immer weit über Verdienst.
Mag nun die Fackel sich in so vielen unrechten Händen
befinden wenn sich das, was von mir geschrieben ist, in einen andern Druck
wagt, so langen wenige darnach. Für eine Sammlung von Satiren oder
Aphorismen soll das nicht beklagt sein. Eine solche ist mit den seltenen
Lesern zufrieden, denen die textliche Veränderung ein neues Werk bedeutet.
Aber an der Schrift >>Heine und die Folgen<<, die als Manuskript
in den Buchverlag kam, hat es sich gezeigt, daß es nicht mehr Leser
gibt, als jene wenigen. Und diese Erfahrung kann gerade sie nicht schmerzlos
hinnehmen. Denn ihr Wille ist, Leser zu schaffen, und das könnte ihr
nur gelingen, wenn sie Leser findet. Sie trägt den Jammer des deutschen
Schrifttums aus, und sie ist nicht zufrieden damit, daß ihre Wahrheit
sich an ihr selbst erfülle. Darum betritt sie den Weg der Reue, der
aus dem Buch zurück in die Zeitschrift führt, und auch diese
Notwendigkeit sei ihr gefällig, die Perversität des geistigen
Betriebs unserer Tage zu erweisen. Hier, im vertrauten Kreis, wird sie
wenigstens den Versuch machen, zu mehr tauben Ohren zu sprechen, als in
der großen deutschen Öffentlichkeit zu haben sind.
Denn es ist nicht zu denken, daß sie just für
den Gegenstand taub waren, von dem zu ihnen die Rede ging. Von Heine hören
sie noch immer gern und wenn sie auch nicht wissen, was soll es bedeuten.
Sicherlich würde die Schrift, wenn sie bloß den Lebenswert seiner
Kunst verneinte, jenem Zeitgefühl nichts Neues sagen, das sich selbst
durch die Verabredungen der Intelligenz nicht betrügen läßt.
Sicherlich läßt es sich eher zur Bettelei für ein Heine-Denkmal
als zur Lektüre seiner Bücher herumkriegen. Und dem Haß,
so der dort ansetzte, wo nicht Liebe, nur intellektuelle Heuchelei die
Grabeswacht hält, würde zwar einige Erbitterung, aber kein allgemeines
Interesse antworten. Diese Schrift indes, so weit entfernt von dem Verdacht,
gegen Heine ungerecht zu sein, wie von dem Anspruch, ihm gerecht zu werden,
ist kein literarischer Essay. Sie erschöpft das Problem Heine nicht,
aber mehr als dieses. Der törichteste Vorwurf: daß sie Heine
als individuellen Täter für seine Folgen verantwortlich mache,
kann sie nicht treffen. Die ihn zu schützen vorgeben, schützen
sich selbst und zeigen die wahre Richtung des Angriffs. Sie sollen für
ihre Existenz verantwortlich gemacht werden, und der Auswurf der deutschen
Intelligenz, der sich sogleich geregt hat, bewies, daß er sich als
die verantwortliche Folge fühle. Es waren Individuen, die durch ihre
eigene Lyrik schwer genug gestraft sind oder durch ihre eigene Polemik
zu sehr insultiert waren, als daß sie einer besondern Abfertigung
bedurft hätten. Die wenigen, die sich geärgert, und die vielen,
die nicht gelesen hatten, haben bestätigt, was geschrieben war. Nicht
die Gefahr, eine Entweihung Heines zu erleben, wohl aber die Furcht, das
Feindlichste zu hören, was diesem Zeitalter der Talente gesagt werden
kann, hat dem Ruf ein stärkeres Echo ferngehalten. Nicht eine Wertung
Heine’scher Poesie, aber die Kritik einer Lebensform, in der ein für
allemal alles Unschöpferische seinen Platz und sein glänzend
elendes Auskommen gefunden hat, wurde hier gewagt. Nicht die Erfindung
der Pest, nicht einmal ihre Einschleppung wurde getadelt, aber ein geistiger
Zustand beschrieben, an dem die Ornamente eitern. Das hat den Stolz der
Bazillenträger beleidigt. Hier ist irgendwie die Sprache von allem,
was sie einzuwickeln verpflichtet wurde, gelöst, und ihr die Kraft,
sich einen bessern Inhalt zu schaffen, zuerkannt. Hier ist in dieser Sprache
selbst gesagt, daß ihr der kalligraphische Betrug fremd sei, der
das Schönheitsgesindel zwischen Paris und Palermo um den Schwung beneidet,
mit dem man in der Kunst und in der Hotelrechnung aus dem Fünfer einen
Neuner macht. Das haben sie nicht verstanden, oder als bedenklich genug
erkannt, um es nicht hören zu wollen.
Um aber die Unfähigkeit, die eine redliche Wirkung
des begabten Zeitgeistes ist, nicht schwerer zu belasten als die Bosheit,
die in allen Zeiten die sozialen Möglichkeiten gegen den Gedanken
mobilisiert hat, muß gesagt werden, daß noch ein besonderer
Verdacht den Autor dazu bestimmt hat, vom Verlag Albert Langen das Recht
des Wiederabdruckes dieser Schrift zu erbitten. Sein bekannter Verfolgungswahn,
der ihm sogar zugeflüstert hat, daß es ihm in zwölf Jahrgängen
nicht gelungen sei, sich beliebt zu machen, ließ ihn an eine absichtliche
Unterdrückung der Broschüre glauben. Stellte ihm vor, daß
die aufgestöberten Wanzen aus der Matratzengruft sich in Bewegung
gesetzt und just dort angesiedelt hätten, wo der ihnen bekannte Weg
vom Gedanken in den Handel führt. Die Furcht vor der Presse kann Berge
versetzen und Säle verweigern: vielleicht bedarf es nicht einmal der
Anregung, um einen Wiener Buchhändler im Vertrieb einer gefährlichen
Broschüre, von der nur ein kleiner Gewinn abfällt, lau zu machen.
Zumal einen von jenen, die noch heute der Fackel einen autorrechtlichen
Prozeß verübeln, den ihr erster Drucker geführt hat. Ist
es denn nicht eine Wiener Tatsache eigenster Art, daß nicht nur den
Blicken der spazierenden City das Ärgernis meiner Bücher entzogen
wird, sondern daß die Hefte der Fackel, die in einer Zeile mehr Literatur
enthalten als die Schaufenster sämtlicher Buchhandlungen der Inneren
Stadt, und an deren letztes Komma mehr Qual und Liebe gewendet ist als
an eine Bibliothek von Luxusdrucken eines Insel-Verlags - gezwungen sind,
zwischen Zigarren, Losen und Revolverblättern ihre Aufwartung zu machen,
um die Kosten zu decken, die eine nie belohnte und nie bedankte Mühe
verursacht, während im Chor das Ungeziefer des Humors die Sache für
lukrativ hält und sich an dem Begriff der >>Doppelnummer<< weidet!
Eine Zeitschrift, welche die legitimsten administrativen Hilfen wie den
Aussatz flieht, so aus sich selbst leben möchte, um so gegen sich
selbst zu leben, buchgeboren wie kaum ein Buch im heutigen Deutschland,
muß die Stütze des zuständigen Handels, die ihm Pflicht
wäre, entbehren und in der österreichischen Verbannung jene Schmach
verkosten, die den wegen eines politischen Delikts Verurteilten in die
Zelle der Taschendiebe wirft. Ahnt die freigesinnte Bagage, deren kosmisches
Gefühl die Gewinnsucht ist und von der man die Gnade erbetteln muß,
für irrsinnig gehalten zu werden, wenn man keinen Profit macht, ahnt
sie, wie viel Genüsse sie sich mit dem Geld erkaufen könnte,
das mein Werk des Hasses verschlingt, bis es die Gestalt hat, mit der ein
Selbstverherrlicher nie zufrieden ist - weil es erst dann ihm die Fehler
enthüllt, die die andern nicht merken! Aber hier, in sein Archiv,
nimmt er, was ihm beliebt, und zieht er ein, was andernorts nicht beliebt
hat. Hier kann ihn nichts enttäuschen. Eine Arbeit, die statt zwanzig
Auflagen nicht die zweite erlangt hat: hier kann ihr nichts mehr geschehn.
Ihr Verfasser, dessen Lust es ist, in die Speichen seines eigenen Rads
zu greifen, sich selbst und die Maschine aufzuhalten, wenn ihm ein Pünktchen
mißfällt, wird nie mehr einem fremden publizistischen Betrieb
seine Hilfe gewähren. Er wirbt nicht um neues Publikum. Die Fackel
ist ihm nicht Tribüne, sondern Zuflucht. Hier kann ihn das Schicksal
einer Arbeit nur bis zur Vollendung aufregen, nicht bis zur Verbreitung.
Was hier gelebt wird, mag im Buche wiedererstehn. Aber es ist Lohn genug,
unter dem eigenen Rade zu liegen.
Mai 1917
Zwischen den Lebensrichtungen
Schlußwort
Nicht die Feststellung der unerheblichen Tatsache, daß
die Schrift >>Heine und die Folgen<< neben der Verbreitung durch
die Fackel nun doch im siebenten Jahr bei der dritten Auflage hält,
erfordert die Ergänzung. Ein anderes sei nachgetragen, das gleichfalls,
indem es scheinbar etwas berichtigt, einer tieferen Betrachtung erst dessen
Richtigkeit zu erkennen gibt. Alles, was hier und in allen Kapiteln über
den Lebensverlust des heutigen Lebens und den Sprachverrat deutscher Menschheit
gesagt ist, hat die gedankliche Spur, die bis zum Rand dieses Krieges führt,
der meine Wahrheit auch zur Offenbarheit gemacht hat. Nur dort bedarfs
einer Darlegung, wo ich gerade in dem Drang, der Maschine zu entrinnen,
einer schon völlig entmenschten Zone den Vorzug vor jenem Schönheitswesen
gab, das dem unaufhaltsamen Fortschritt noch weglagernde Trümmer von
Menschentum entgegenstellte. In den später geschriebenen Aphorismen
ist die zum Krieg aufgebrochene Antithese zugunsten eben jener Lebensform
entschieden, als einer, welche die Sehnsucht nach Leben und Form hatte
und eben um solcher Sehnsucht, um eines selbstretterischen Instinktes willen,
die Notwehr gegen die Tyrannei einer wertlosen Zweckhaftigkeit auf sich
nehmen sollte, gemäß der das Leben Fertigware ist und die Kultur
die Aufmachung. Denn es mußte die Frage, >>in welcher Hölle
der Künstler gebraten sein will<<, abdanken vor der zwingenden
Entscheidung, daß der Mensch in dieser Hölle nicht gebraten
sein will, durch die richtende Erkenntnis des Künstlers selbst, der
nun nicht mehr das Recht und nicht mehr die Möglichkeit hat, die sichere
Abschließung seines Innern zu suchen, sondern nur noch die Pflicht,
zu sehen, welche Partie der Menschheit gleich ihm um die Erhaltung solchen
Glückes kämpft und gegen den Zwang einer Lebensanschauung, die
aus dem Leben alle Triebe gepreßt hat, um es einzig dem Betrieb zu
erhalten. Daß es aber jene Regionen sind, von deren Wesensart in
ruhiger Zeit die Störung kam, darüber sich einem Zweifel hinzugeben,
wäre Kriegsverrat an der Natur, die sich der Maschine erwehrt. Sie
tut’s, und tue sie’s auch mit Hilfe der Maschine, dem Künstler gleich,
der die Betriebsmittel der Zeit nicht verschmäht hat, um ihr zu sich
zu entfliehen. Er bejaht vor der Unvollkommenheit des Lebens den Lebensersatz
und vor den halben Individualitäten das System des ganzen patentierten
Persönlichkeitsersparers. Der sich der Maschine bedient, gewinnt in
dem Maße, als sie alle verlieren, die die Maschine bedienen. Denn
diese macht den Menschen nicht frei, sondern zu ihrem Knecht, sie bringt
ihn nicht zu ihm selbst, sondern unter die Kanone. Der Gedanke aber, der
nicht wie die Macht eine >>Neuorientierung<< braucht, um sich am
Ruder wieder zu finden, weiß: Er schuf sich nur den Notausgang aus
dem Chaos des Friedens, und was an der Wertverteilung >>deutsch-romanisch<<
widerspruchsvoll schien, war nur der Widerspruch des neuen Daseins gegen
sich selbst, der heute ereignishaft seine Lösung erfährt. Die
Auffassung, die den >>Lazzaroni als Kulturideal neben dem deutschen Schutzmann<<
scheinbar nicht gelten lassen wollte, sie bestätigte ihn darin mehr
als jene, die es - im Sinne des >>Malerischen<< - wollten und die
die eigentlichen Deutschen sind. Das Wort vom >>Schönheitsgesindel
zwischen Paris und Palermo<< mag nun auf jene Hunnenhorde der Bildung
reflektieren, die an der Verwandlung von Lebenswerten in Sehenswürdigkeiten
schuld ist. Was hier von der Sprache und dem Menschen gedacht war, ist
dem Typus, der tieferer Zwecklosigkeit nachhangend in der Sonne lungern
kann, blutsverwandter als dem unerträglichen Eroberer eines Platzes
an der Sonne, dessen Geistesart es freilich entsprochen hat, ein bunteres
Dasein ornamental zu entehren und damit den Untergang zu beschönigen.
In jenem geweihten Sinn, der die >>basaltfreie<< Ordnung und Zweckhaftigkeit
wahrlich nur zu dem höheren Zwecke will, um ungestört die Schlösser
und Wunder der Seele zu betreuen, mußte ich die Umgebung solches
Warenpacks vorziehen, weil es die besten Instrumente abgab, um mir Ruhe
vor einer lärmvollen Welt zu verschaffen, in der sie, nur weil sie
keine Menschen mehr waren, selbst nicht mehr stören konnten. Aber
die andern taten es, weil sie’s halb waren. Es war mir einst zu wenig,
und jetzt ist es doch so viel geworden. Und an dieses Problem, in welchem
ganz ähnlich auch die Antithese Berlin-Wien zu Gunsten Wiens bereinigt
wird, wirft der Zusammenbruch noch die Erkenntnis, daß gerade in
der Sphäre der Lebensmechanik der ganze Widerspruch selbst enthalten
war. Daß es nicht allein um >>deutsch-romanisch<<, sondern
um >>deutsch-weltlich<< geht, zeigt sich, indem die bunte Welt auf
Farbe dringt. Amerika, das es besser hat, und die Welt der alten Formen
vereinigen sich, um mit einem Kunterbunt fertig zu werden, das von dort
die Sachlichkeit, von da die Schönheit zusammenrafft und immerzu in
der tödlichen Verbindung von Ware und Wert, in der furchtbaren Verwendung
der alten Embleme für die neuen Realien durchzuhalten hofft. Der Angelsachse
schützt seinen Zweck, der Romane seine Form gegen den Mischmasch,
der das Mittel zum Zweck macht und die Form zum Vorwand. Da hier die Kunst
nur Aufmachung ist; da diese Sachlichkeit, diese Ordnung, diese elende
Fähigkeit zum Instrument einem auf Schritt und Tritt den Verlust an
Menschentum offenbart, den es gekostet hat, um ein so entleertes Leben
dem Volkstum zu erringen; da es selbst die Oberflächenwerte, für
die alle Seelentiefe und alle Heiligkeit deutschen Sprachwerts preisgegeben
wurde, im Zusammenstoß der Lebensrichtungen nicht mehr gibt; da der
Deutsche eben doch kein Amerikaner war, sondern nur ein Amerikaner mit
Basalten - so taugt der Zustand nicht mehr zum Ausgangspunkt der Phantasie.
Weil sie Geist und Gott und Gift benützen, um das Geld zu erraffen,
so wendet sie sich von den Entmenschten einem Schönheitswesen zu,
das gegen die unerbittliche Wut der Zeit seine Trümmer verteidigt.
Auf der Flucht aus ihr habe ich Unrecht tun müssen. Die Partei der
Menschenwürde habe ich nie verleugnet und jetzt, wo, ach, der Standpunkt
erreicht ist, sie nehmen zu können, habe ich dem Weltgeist nichts
abzubitten als die Schuld, in solcher Zeit geboren zu sein, und den Zwang,
sichs auf der Flucht häuslich einzurichten.
*
Heine und die Folgen erschien im Dezember 1910
im Verlag Albert Langen, München. Kraus ergänzte im August 1911
den Aufsatz um das hier vorgestellte >>Vorwort<< und veröffentlichte
ihn in seiner in Wien erscheinenden Zeitschrift Die Fackel Nr. 329/330,
S. 1-33. Das 1917 verfaßte >>Schlußwort<< erschien in
der Fackel 462-471, S. 76-78. |