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Die Mutter der PCs und Netze

Interview mit Ilse Müller / hyperstone electronics, Konstanz
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Autor:Frank Fremerey
 
 
Denkt man an Computer-Entwicklung, kommen einem augenblicklich amerikanische Garagen-Bastler in den Sinn. Man könnte glatt dem Irrtum verfallen, der Computer sei ein amerikanisches Produkt - weit gefehlt. Der PC, die Computer-Netze, alles, was heute die Welt der modernen Informations-Technik ausmacht, wurde in Baden-Württemberg erfunden und zwar bereits 1972. Auch an der Umsetzung hat es nicht gefehlt: 1976, 10 Jahre bevor die Amerikaner solch ein System hatten, war hier in Deutschland das erste Client-Server-System bereits im praktischen Einsatz. Damals hieß es allerdings: Mehrplatzsystem mit verteilter Intelligenz. Hören Sie selbst, was Ilse Müller, die Mutter der heutigen PC- und Netz-Welt zu erzählen hat: Das Folgende ist kein Märchen, jedes Wort ist wahr:
 
 
"Ich war vierzehn Jahre alt und hab' eine Industriekaufmanns-Lehre gemacht und da kam ich im sechsten Monat meiner Lehre schon an die Schreibmaschine und mußte hunderte von Rechnungen schreiben. Hab' nie die Chance gehabt, das Zehn-Finger-System, Schreibmaschinensystem, zu lernen und meine Lehr-Firma hat Etuis, Taschen, also Lederwaren, hergestellt und da waren oft endlose Positionen und da mußt' ich zusammenrechnen und schreiben. Und das war für meinen kreativen, intelligenten Geist eine Marter, eine Folter. Und ich hab' oft zum Fenster rausgeguckt und überlegt, nachdem ich eine elektronische Schreibmaschine, (d.h.) mein Chef angeschafft hat - von IBM, die Kugelkopf - 1954 - und da hab' ich mir lange überlegt: "Mensch, wie kann man die vier Grundrechenarten durch eine Art Code-Programm ansteuern, (das) den Kugelkopf bewegt und den Zeilenvorschub?" 

Der Prokurist, dem ich unterstellt war, der wollt' mich feuern - wegen Unfähigkeit. 

Und dann hab' ich meinen Mann kennengelernt - mit 18 - und der war als ganz junger Ingenieur, als 22jähriger Fachschulingenieur, der hatte aber Radiotechnik gelernt, nicht Computertechnik, war in Backnang, beim ersten Computer, größten europäischen, TR4 hieß der, Telefunken Rechner 4, in Backnang beim Professor Leilich, der in Braunschweig ist, und Professor Händler, der in Erlangen ist. Und da ist mein Mann reingekommen in diese Gruppe und hat gleich sofort die Schaltkreistechnik gemacht. Und den hab' ich kennengelernt und mein Mann hat mit mir gefachsimpelt und mir immer erzählt und ich hab' immer zugehört und auf einmal hab' ich gesagt: "Mein Gott, Otto, warum machst Du immer so große, hehre Rechner, die ein bis vier Millionen Mark kosten, ich bräuchte eigentlich nur `ne kleine Schreibmaschine, die mir ei' Rechnung schreibt und automatisch zusammenzählt, abzieht - ich sag's jetzt richtig volksschulmäßig - subtrahiert, ich kann's ja auch anders sagen, also die vier Grundrechenarten, und ein bißchen noch'n Schlüssel für Skonto abziehen, und, wenn's hoch kommt, noch ä Zinsstaffel." Und das hab' ich meinem Mann erzählt, Algorithmen und so weiter: "Nö ", hat er gesagt: "Ach, das ist doch Pipifax, das mach ich mit links" und dann hab ich gesagt: "Ja warum machen wir denn nicht so was? Machen wir doch Kleinrechner!" "Nö", hat er (gesagt), "da gibts keinen Markt. IBM ist beherrschend" und so weiter und "wir wollen da auch hin" und "das werden kleine Firmen nie machen und das kostet mindestens eine Million" und so weiter. Und da hab' ich mich auf die Suche gemacht und hab' mit Mittelstands-Unternehmen - in Baden-Württemberg gab's ja die meisten - unterhalten. 

Und da hab' ich gesagt: "Was haltet ihr von so einem Rationalisierungs-Instrument?" und ham' die gesagt: "da warten wir nur drauf!" - Aber da gab's ja nur (die) bekannte Firma, IBM in Böblingen, aber da gibt's nichts, das ham' die abgetan als Kleinvieh-Mist, Mist. 

Und mein Mann hat dann nach Feierabend, nach meinen Vorstellungen, den ersten Fakturiercomputer gemacht, nebenbei, neben dem Großrechner TR4-Telefunken. 

Und Telefunken, ein Freund, ein Herr Spangenmacher, Alfred Spangenmacher, hat kleine Programme dazu geschrieben und hat auf eigene Rechnung, auf eigene Gefahr, bei Telefunken, in Hannover, (auf der) Messe, 1963, diesen TR 10 ausgestellt. 
 

Und diesen Computer hat Herr Nixdorf, Heinz Nixdorf entdeckt und hat uns `rübergeholt und das wurde dann später der legendäre und meistverkaufte Arbeitsplatzcomputer und der erste der Welt mit einem Micro-Programm und das hieß "Nixdorf 820". 

Das war ein 12-bit und nicht Byte-strukturiert und nicht frei programmierbar und mit Lochkarte. Ich hatte die Idee mit dem Bildschirm und (der) Magnetband-Kassette und mein Mann hat dann (die) Byte-Struktur - 16 bit - Byte-Struktur, frei programmierbar (entwickelt). Das war das Nachfolge-Modell "Nixdorf 900" und das nahm Nixdorf nicht, weil die 820 liefen wie der VW-Käfer. 

Daraufhin haben wir es allen - Kienzle, Olivetti, Anker - allen diesen Firmen angeboten und, weil es Nixdorf abgelehnt hat, haben sie es gar nicht erst angeguckt, mußten wir nach Amerika - 1970 - der erste PC der Welt! 

...Ich nannte es damals Arbeitsplatz-Computer, weil er am Arbeitsplatz, wo die Daten anfielen, auf den Tisch gestellt werden konnte. 

Und da hatte ich auch weiter die Idee - dieses Vernetzen : da hab' ich gedacht, jeder Buchhalter, jeder, Materialwirtschaft, jeder, der halt im Büro organisatorisch arbeitet, braucht dieses Kopfwerkzeug Computer, ich nannte es Kopfwerkzeug. 

Und dieser CTM 70, das war dann unser eigener Computer, aber man mußte dann noch erst einmal zwei Millionen (an) Geld verdienen, und das war eine 8-bit - eine abgerüstete CTM 70 für Triumph-Adler, das wurde die TA 1000, das berühmte Terminal von DATEV in Nürnberg. Ungefähr 15 Monate haben wir für Triumph gearbeitet und haben dann unsere eigene Firma - 1972 - (gegründet und) einen Paradigmenwechsel eingeleitet und die Mittlere Datentechnik, die Nixdorf geschaffen hat, in eine moderne, richtige Computerarchitektur mit 16 Bit und Byte-Struktur umgewandelt.

(Für) die Grundlagen der heutigen PCs und der Real-Time-Kernel und der Netzwerksoftware und -hardware haben wir 1972 schon die Grundlagen gelegt und 1976 schon in Systemen ausgeliefert, unter anderem zum Beispiel an die Gervais-Danone, an Südfleisch, also hier im Süddeutschen Raum, 120 Terminals, und die waren dann verbunden und der Host-Rechner war ein IBM-System und die Arbeitsplatzterminals waren CTM 70. Die Amerikaner, also General Data und MAI und WANG, folgten 10 Jahre später. Und wenn Nixdorf mit mir kooperiert hätte, 1978, dann wäre Compaq nicht entstanden, SUN nicht entstanden, all diese Firmen, Microsoft wäre überhaupt nicht entstanden, weil - dann hätte Nixdorf weltweit wiederum das erste Client-Server-System gehabt. 

Man nannte das damals Mehrplatzsystem mit verteilter Intelligenz. Die englischen Fachausdrücke kamen erst viel später." 

 
Die Deutschen sind aus ihrem Tiefschlaf bis heute nicht erwacht.
Ilse und Otto Müller jedoch halten weiter die 10 Jahre Technologie-Vorsprung,
zur Zeit auf dem Gebiet der Halbleiter-Technik
(spez. der hyperstone-Technologie, die eine Zusammenführung
von RISC, CISC und DSP-Architektur in einem Chip ist und die Müller selbst
EFISC - Enhanced Fast Instruction Set Computing nennt).
Während die Asiaten und US-Amerikaner bei den beiden Schlange stehen, bereitet sich Deutschland seelenruhig auf seine Existenz als Agrar-Staat vor, der in 15 Jahren von China Entwicklungshilfe erwarten darf.
 
 
Bonn, am 3. Juni 1996
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