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Essay von Christine Beirnaert |
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3. Definition der Modernität
3.1. Bei Baudelaire
In seinen Betrachtungen über C.Guys, den "Peintre de la vie moderne", der sich bemüht,
poétique dans l'historique, de tirer l'éternel du transitoire", /15/ entdeckt Baudelaire am Phänomen der Mode, d.h. des Vergänglichen, die "Doppelnatur des Schönen" im relativ Schönen, was er begrifflich mit "modernité" gleichsetzt:
contingent, la moitié de l'art, dont l'autre moitié est l'éternel et l'immuable." /16/ Mit der eingangs zitierten Definition der Modernität deutet Baudelaire das poetische Verfahren an, mit dem er die Bilder der Gegenwart in die Kunst überführen wird. Aus dem Vorübergehenden, Historischen, als einer Hälfte der Kunst soll der moderne Künstler das Poetische und Dauernde destillieren.
Baudelaire leidet dabei an der Modernität, die H. Friedrich in Baudelaires Namen so beschreibt:
losen Großstädte mit ihrer Häßlichkeit, ihrem Asphalt, [...] ihren Einsamkeiten im Menschengewimmel." /17/ Im Leiden am Häßlichen, das seine Herkunft einer hassenswerten geistlosen Epoche verdankt, versucht er:
Bei Baudelaire entsteht darum die Kunst kraft der Imagination, durch eine instrumentelle Sprache, die dem modernen Schönen "un air d'éternité" verleiht. Diese Fähigkeit, um mit Heine zu sprechen, das "albern rohe Leben" der äußeren Welt ins Schöne zu verwandeln, ist auf Baudelaires Absage der mimetischen Darstellung der als kunstfeindlich empfundenen Realität zurückzuführen:
peindre selon qu'il voit et qu'il sent." /19/ Die Wahrnehmung des Künstlers ermöglicht es demnach, die wahrgenommene objektivierte Welt im poetischen Ich durch Deformation aus ihrer Deformation zu erlösen. Dieses künstlerische Verfahren beschreibt er 1859 so:
zen, die im tiefsten Seeleninnern entspringen, sammelt und gliedert die [dadurch entstandenen] Teile und er- zeugt daraus eine neue Welt." /20/ Diese Art des Abstoßens der Schöpfung hat die Masse in der Großstadt zur Voraussetzung, unter der sich der "Flâneur", der "Peintre de la vie moderne", bewegt. Berührt von der verfremdeten Welt nimmt er die Entfremdung als Schock wahr. Baudelaires Lyrik thematisiert diese Schocks. Die fremd gewordene Welt wird durch die wahrnehmende Subjektivität des Künstlers entdinglicht. Durch die Verschmelzung der nun zerlegten Teile der Außenwelt mit seiner lebendigen Innenwelt vollzieht sich die künstlerische Neugestaltung der Realität.
Kurzum: auf die durch die technische Weltdurchdringung banal gewordene Realität antwortet Baudelaire mit einer aus seiner Imagination entsprungenen Ästhetik, die so zugleich der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs im Griechischen gerecht wird, nämlich "Wahrnehmung" im Wortsinne zu sein. Durch diese Entrealisierung der ebenfalls im Wortsinne "verhaltenen" Verhältnisse, durch die "erzwungene Idealisierung", wie Baudelaire es nennt, versucht er das verlorene Glück einzuholen.
Das Bewußtsein vom Verlust der vormodernen Harmonie und das Überwinden einer mit Leid erlebten Wirklichkeit kann realiter wie poetisch immer nur durch dissonante Bilder ausgedrückt werden.
15. Baudelaire, Curiosités esthétiques, S. 466 3.2. Bei Heine
Der politische Romantiker Heine sah sich in der Umbruchsituation der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der verlorenen Ganzheit und der daraus resultierenden Zerrissenheit ausgesetzt. In den "Bädern von Lucca" ist die Rede von diesem schmerzlichen Zwiespalt:
alter [...], es gab ganze Dichter. Wir wollen diese Dichter ehren aber jede Nachahmung ihrer Ganzheit ist eine Lüge." /21/ Während Fr. Schlegel zum Stillen der Sehnsucht nach Harmonie in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte die Rückkehr in die Vergangenheit angekündigt hatte, entwirft Heine im Vorwort zur 2. Auflage der "Reisebilder" folgendes Programm:
verwehen jetzt [...] im scharfen Schmerzjubel jener modernen Lieder, die keine katholische Harmonie der Gefühle erlügen wollen und vielmehr, jakobi- nisch unerbittlich, die Gefühle zerschneiden, der Wahrheit wegen. Es ist interessant, wie die einen von den beiden Liederarten [...] in ein und dem- selben Dichterherzen sich beide Arten verschmelzen." /22/ Das Springen von dem einen ins andere Extrem, von der Romantik zur Antiromantik, von der Sehnsucht, "die Sängesvögel fortsingen zu lassen", bis zum Wissen von ihrer Unerfüllbarkeit - durch die Mittel des abrupten Stilbruchs und der Ironie gelingt Heine poetisch die Darstellung der Dissonanz.
Modernität ist aber bei Heine nicht ausschließlich eine ästhetische Frage. In seiner Poesie ist der geschichtliche Augenblick immer gegenwärtig, der denn auch den "konventionellen Inhalt" seiner Schriften bestimmt:
der dritte Stand erhebt sich; die Revoluzion grollt schon in den Herzen und Köpfen; und was die Zeit fühlt und denkt, und bedarf und will, wird angespro- chen, und das ist der Stoff der modernen Literatur." /23/ Die Entfremdung, die diese Umwälzungen auslösen, schlägt ins entseelte Objektive um und andererseits, angesichts der zu dieser Zeit zu konstatierenden Insuffizienz hinsichtlich nachbildender Darstellung /24/, steht Heine nur noch, wie schon bei Baudelaire gezeigt, der Weg nach innen offen, d.h. der Weg in die Subjektivität:
und naiv, sondern subjektiv, lyrisch und reflek- tierend." /25/ 21. WFB, 2, S. 308 22. Ebd., S. 54 23. SS, 3, S. 551 24. Vgl. Hohendahl, Geschichte und Modernität, S. 356 25. SS, 3, S. 552
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